Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum
Nummer eins und laufe weiter im Zwischengang auf das Ausgangstor zu. Mein Herz bleibt fast stehen, als ich an der Tür reiße und sich nichts tut. Verschlossen, so ein Misst. Entmutigt drehe ich mich wieder um, um zurück in den Innenhof der Herberge zu laufen. Als ich jedoch an dem eben passierten Tor rüttele, ist auch dieses hinter mir wieder ins Schloss gefallen und lässt sich, wie ich unweigerlich feststellen muss, nur von innen öffnen. So eine verdammte Scheiße! Ich hänge fest. In einem leeren Gang mit kaltem Steinboden zwischen 2 Pforten. Bravo! Zwar hatte mir die Berlinerin gestern gesagt, die Herberge würde um 6 Uhr öffnen, aber dass ich nicht einmal von Innen raus kann, verstößt sicherlich gegen alle Brandschutzvorschriften der EU! Meine Situation ist nicht zu ändern und so hole ich meine Isomatte raus und mache es mir auf dem Boden gemütlich. Nachdem ich mich mit der Situation abgefunden habe, denke ich mir, eigentlich hätte es nicht besser kommen können, denn nun habe ich frische Luft, ein Einzelzimmer und absolute Ruhe, um tief und fest zu schlafen.
27.06.2009, Samstag – León nach Hospital de Órbigo
Um 5:00 Uhr werde ich von der Hospitalera geweckt. Völlig entgeistert schaut sie mich an, wie ich da auf meiner Isomatte vor der Tür liege. Sie hat den Schlüssel für die Ausgangstür in der Hand und wollte diese wohl grade öffnen, ist jedoch so entsetzt über mein Verhalten, dass sie mir zur Strafe die Tür nicht öffnet und sich sofort wieder umdreht, um das spartanische Frühstück zu bereiten. Blöde Zicke, denke ich mir, ist doch wohl mein Ding, wann ich gehen will. Und dass ich auf ihr Frühstück verzichte, muss sie ja nicht gleich persönlich nehmen. Nun bin ich wach und muss noch ‘ne Stunde hier rum sitzen, bis ich aus diesem Gefängnis entlassen werde. Gegen 5:30 Uhr kommen weitere Pilger, die erst an der verschlossenen Tür rütteln und sich dann ebenfalls zu mir gesellen. Nach deutscher Pünktlichkeit erscheint meine liebe Berlinerin dann um exakt 6 Uhr, um die Pforten zu öffnen. Mittlerweile sind wir eine Ansammlung von etwa 15 Pilgern, die alle vor der verschlossenen Türe hocken und wie ich brav auf die höhere Macht warten.
Nun ergibt sich für mich jedoch doch noch ein Vorteil daraus, dass ich nicht mitten in der Nacht alleine loslaufen konnte, denn wie ich direkt beim Verlassen der Herberge feststelle, habe ich keine Ahnung, wie ich aus dieser Großstadt rauskomme und von gelben Markierungen oder Jakobsmuscheln ist keine Spur zu sehen. Es scheint nicht nur mir so zu gehen und so schauen sich alle hier Anwesenden erwartungsvoll an, bis ein bereits älterer Spanier zielstrebig eine Richtung einschlägt und der gesamte Trott sofort die Verfolgung aufnimmt. Der gute Mann hat auf jeden Fall den Durchblick und führt uns ahnungslose Pilger schnurstracks durch das Straßengewirr von León, vorbei am beeindruckenden Rathaus, bis zum Ausgang dieses Labyrinthes. Nach etwa 45min sind wir raus aus der Stadt. Ohne ihn hätte ich sicherlich mehrere Stunden gebraucht oder mir gleich 3 Punkte auf den Arm gemalt und meinen Pilgerstab als Blindenstock genutzt. Am Ausgang der Stadt steht man dann vor der Wahl, entweder wieder ein paar Kilometer kürzer an der Straße entlang oder eine Stunde mehr zu laufen und dafür schön durch Felder und Wiesen zu gehen. Der gesamte Trott schlägt die Route zur Straße ein und für einen Augenblick frage ich mich, ob ich meine Karte falsch gelesen habe. Nach mehrmaliger Kontrolle schlage ich dann den anderen Weg ein und trenne mich von den anderen Pilgern. Kann nicht oft genug sagen, wie wenig ich nachvollziehen kann, wieso jemand an der Straße entlang läuft. Einige Nachzügler fragen mich sogar noch, welcher Weg welcher ist und gehen dann trotzdem den meiner Ansicht nach falschen. Ich empfinde es mental so viel anstrengender, an einer befahrenen Straße entlang zu laufen, dass es die etwa 5-10km, die man spart, nicht aufwiegen kann. Aber auch hier gilt wieder: jedem das seine!
Die von mir eingeschlagene Route übertrifft alle meine Erwartungen. Kein einziges Auto zu hören und außer ein paar vereinzelte Häuser nichts als Wiesen und Felder. Auch die Wegführung ist schön abwechslungsreich, geht immer mal wieder um Kurven, ein wenig hoch, dann wieder runter und ohne große, anstrengende Gefälle. Während ich laufe, überlege ich mir, wo ich heute Nacht schlafen möchte. Würde gerne bis Hospital de Órbigo laufen und dort im Zelt campen.
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