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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Norths abgezehrten Anhängern, die Schlange nur als verschwommene Gestalten wahrnahm.
    »Sie hat mir geholfen, North, ich trete an ihre Stelle.«
    Er zupfte an Norths Ärmel, flehte und winselte. North stieß ihn von sich, so daß er niederstürzte und schwieg.
    »Du bist ja hirnrissig«, sagte North. »Oder du glaubst, ich sei es.«
    Das Innere der Höhle glitzerte im trüben, rauchigen Schein von Fackeln, ihreWände glichen verrußten Edelsteinen aus Eis. Über den Fackeln hatte der Ruß sich in großen, runden Flecken abgelagert. Schmelzwasser sickerte herab in matschigePfützen, die den Boden bedeckten und in ein Rinnsal mündeten. Überall tröpfelte in klangvollen Lauten von kristallener Klarheit Wasser. Jeder Schritt, den Schlange tat, verursachte in ihrer Schulter neuen Schmerz, und sie besaß nicht länger die Kraft, um ihn zu verdrängen. Die Luft war stickig vom Qualm brennenden Pechs.
    Allmählich begann sie das dunkle Summen von Maschinen wahrzunehmen; sie spürte es mehr, als daß sie es hörte. Es durchdrang ihren Körper, ihr Gebein. Voraus erhellte sich der Stollen, den sie durchquerten. Er mündete plötzlich in eine Senkung auf der Kuppe der Anhöhe, die wie der Krater eines Vulkans beschaffen, aber offensichtlich von Menschen angelegt war. Schlange verharrte am Ausgang, blinzelte und schaute verblüfft umher. Die schwarzen Augenhöhlen anderer Stollenmündungen starrten sie an. Oben wölbte sich das Kuppeldach als grauer, unbestimmbarer Himmel. Gegenüber kam aus dem größten der vorhandenen Stollen der kalte Luftzug, bildete einen nahezu mit den Händen greifbaren Stausee aus Luft, aus dem die anderen Stollen schöpften. North stieß Schlange vorwärts. Sie sah und fühlte Dinge, aber sie reagierte auf nichts. Sie konnte es nicht.
    »Da hinunter. Klettere hinab.«
    North gab einem Haufen von Tauen und Hölzern einen Tritt, und dessen Bestandteile klapperten in den tiefen Felsspalt im Mittelpunkt des künstlichen Kraters hinunter. Das Gewirr entrollte sich: es war eine Strickleiter. Schlange sah ihr oberes Ende, das untere Ende jedoch war im Finstern verborgen.
    »Klettere hinab«, forderte North sie erneut auf. »Oder ich werfe dich hinein.«
    »North, bitte«, wimmerte der Verrückte, und auf einmal begriff Schlange, worum es sich bei diesem Loch handelte. North starrte sie an, während sie laut lachte. Sie fühlte sich, als flössen ihr neue Kräfte zu, gewonnen aus der Luft und dem Erdreich.
    »Ist das eure Art, Heiler zu foltern?« meinte sie.
    Umständlich, aber ohne zu zögern, schwang sie sich in den Abgrund. Einhändig kletterte sie Sprosse um Sprosse abwärts in die frostkalte Finsternis, krümmte ihre nackten Zehen um die Sprossen und drückte jeweils die untere nach hinten, um einen Halt zu haben. Sie hörte, wie oben der Verrückte in hemmungsloses Schluchzen ausbrach.
    »Wir werden sehen, wie dir morgen früh zumute ist«, sagte North.
    Die Stimme des Verrückten klang aus Entsetzen schrill. »Sie wird alle Traum-schlangen umbringen, North! North, nur deshalb ist sie ja gekommen.«
    »Das würde ich gerne erleben«, sagte North. »Eine Heilerin, die Traumschlangen tötet!«
    Aus den Echos der hölzernen Sprossen, die an Wänden der Felskluft schepperten, schlußfolgerte Schlange, daß sie sich dem Boden näherte. Es herrschte keine vollständige Finsternis, aber ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit. Sie mußte eine Verschnaufpause einlegen; sie war schweißnaß und zitterte wieder. Sie lehnte ihre Stirn gegen kalten Stein. Ihre Zehen und die Knöchel ihrer linken Hand waren wundgeschabt, denn die Strickleiter lag unmittelbar an der steinernen Wand. In diesem Moment vernahm sie endlich das leise Kriechgeräusch kleiner Schlangen. Sie hing an die Wand gepreßt, an die Strickleiter geklammert, und blinzelte hinab in die Trübnis. Ein langer, schmaler Streifen von Lichtschein ruhte mitten auf dem Boden der Felsspalte.
    Geschmeidig glitt eine Traumschlange von der einen in die andere Seite des Dunkels. Schlange kletterte mühsam auch die letzten paar Meter nach unten und betrat den Boden so behutsam wie möglich, tastete mit ihrem nackten, tauben Fuß so lange umher, bis sie ganz sicher war, daß sich darunter nichts regte.
    Sie kniete nieder. Kalter, kantiger Stein marterte ihre Knie, und die einzige Wärme stammte vom frischen Blut an ihrer Schulter. Aber sie langte zwischen das Geröll und befühlte den Grund. Ihre Fingerspitzen streiften die glatten Schuppen einer

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