Traumschlange
Schlange nach Dunst, hob sie auf und streichelte ihren schmalen Schädel. Sie war nicht ganz so wundervoll geruhsam und schmalhäuptig – obwohl ihre Kapuze gegenwärtig eingesunken war – wie eine ungiftige Schlange. Aber sie brauchte auch keinen dicken, von Gift prallen Kopf; Ihr Gift war stark genug, um schon in winzigen Mengen zu töten.
Als Schlange sich umwandte, erregte der prachtvolle Sonnenuntergang ihre Aufmerksamkeit. Die Sonne stand als verschwommener Fleck am Horizont, verströmte Streifen aus Purpur-und Zinnoberrot durch graue Wolken. Und da erblickte Schlange jene Krater, deren Vielzahl sich drunten durch die Wüste erstreckte.
Die Erde war übersät mit großen runden Trichtern. Einige, die im Weg des Lavaflusses lagen, hatten in der Glut die glatten, schwungvollen Schwellungen ihrer Ringwälle verloren. Andere waren noch scharf umrissen, gewaltige Löcher, aus der Erde gehöhlt, nach vielen, vielen Jahren des Treibsandes noch deutlich erkennbar. Die Krater waren so groß und über ein so weites Gebiet verstreut, daß sie nicht nur eine Ursache gehabt haben konnten. Atomexplosionen hatten sie geschaffen. Der Krieg war seit langem vorbei, inzwischen, fast vergessen, weil er jeden vernichtet hatte, der die Gründe kannte, warum er ausgebrochen war, oder sich dafür interessierte. Schlange spähte über das verwüstete Land, froh darüber, den Kratern nicht näher zu sein. In Gegenden wie diesen hatten die Nachwirkungen des Krieges sichtbar und unsichtbar bis in Schlanges Lebzeiten überdauert; und sie würden nach Schlange noch für Jahrhunderte weiterbestehen.
Die Schlucht, in der sie und die Dreierschaft lagerten, war vermutlich auch nicht völlig sicher, aber sie hatten sich nicht lange genug darin aufgehalten, um in ernster Gefahr zu schweben. Ein ungewöhnliches, auffälliges Gebilde lag unterhalb des Sonnenuntergangs – so daß Schlange es nicht deutlich erkennen konnte – zwischen den Gesteinstrümmern. Sie blinzelte. Sie verspürte Mißbehagen, als belauere sie etwas, das sie nichts anging. Am Rande eines Kraters war der Kadaver eines Pferdes ausgestreckt und verweste in der Hitze. Die erstarrten Beine des toten Tiers ragten grotesk empor in die Luft, durch den geschwollenen Bauch aufwärts gedrückt. Im Sonnenschein schimmerte um des Tieres Kopf goldgelbes Zaumzeug in Scharlachrot und Orange. Schlange entließ ihren Atem mit einem Laut, der halb Seufzer war, halb Stöhnen.
Sie lief zurück zur Schlangenschachtel und drängte Dunst hinein, nahm Sand an sich und begann in die Richtung des Lagers zu rennen, fluchte dabei, als die Klapperschlange sich in ihrer eigensinnigen Art um ihren Arm winden wollte. Sie blieb stehen und hielt Sand so, daß er in sein Fach kriechen konnte, dann eilte sie weiter, noch während sie die Schachtel verschloß. Das Behältnis schlug gegen ihr Bein. Als sie das Zelt erreichte und ins Innere schlüpfte, keuchte sie. Merideth und Alex schliefen. Schlange kniete sich neben Jesse und schob die Decke beiseite.
Kaum eine Stunde war verstrichen, seit Schlange die Frau zuletzt untersucht hatte. Doch die Blutergüsse an ihrer Seite waren dunkler und tiefer geworden, ihr Körper war auf ungesunde Weise gerötet. Schlange fühlte ihre Stirn. Sie war glutheiß und trocken wie Papier. Jesse reagierte nicht auf die Berührung. Als Schlange ihre Hand fortnahm, wirkte die glatte Haut dunkler. Innerhalb weniger Augenblicke, während Schlange den Vorgang entsetzt beobachtete, bildete sich, indem die Blutgefäße sich zersetzten, ein neuer Bluterguß; die Gefäßwände waren durch die Strahlung so stark geschädigt, daß bereits leichter Druck ihre völlige Zerstörung bewirkte. Der Verband um Jesses Bein rötete sich plötzlich in der Mitte von Blut. Schlange ballte die Hände zu Fäusten. Sie bebte, tief vom Innern heraus, als werde sie von Kälte durchdrungen.
»Merideth!«
Im Handumdrehen war Merideth wach, gähnte und murmelte verschlafen: »Was ist los?«
»Wie lange habt ihr gebraucht, um Jesse zu finden? War sie in einen Krater gestürzt?«
»Ja, sie war zum Schürfen unterwegs. Deshalb kommen wir hierher – andere Kunsthandwerker können sich wegen der Dinge, die Jesse hier findet, mit unserem Angebot nicht messen. Aber diesmal brach ein Kraterrand zusammen. Wir fanden sie erst am Abend.«
Ein ganzer Tag, dachte Schlange. Sie muß in einem Primärkrater gelegen haben.
»Warum habt ihr mir das nicht gesagt?«
»Was gesagt?«
»Diese Krater sind
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