Trias
Ermittlungen überlassen hatten. Je dünner die Informationen, umso lustvoller die Kolportagen, dachte er abschätzig.
Clever fand er den Artikel einer Katja Kirchner in der Berliner Tagespost. Ihre Fragen und eingestreuten Kommentierungen deckten sich mit seinen Zweifeln. Sie hatte geschrieben:
»Wenn Rumpf tatsächlich das Opfer einer bislang unbekannten Gruppe wurde, warum starb sein russischer Kollege ebenfalls? Konnten die Enthüllungen um die Visa-Erteilungen und die jetzigen Restriktionen für manchen so schwerwiegend sein, dass sie als Tatmotive taugten? Und vor allem: Wer zu Sprengstoff greift, riskiert einen Höllenlärm, der bis in den letzten Winkel der Welt zu vernehmen ist. Wo sind die sonst so üblichen Bekennerbriefe, wo die Forderungen? Und wären Visa-Händler wegen der harten Restriktionen wirklich bereit, auf deutschem und russischem Boden ein Auto und ein Flugzeug wegzusprengen? Wer solche Taten vollbringt, muss unter Realitätsverlust und einer, wie man es den RAF-Terroristen zuschrieb, ›absoluten Unkorrigierbarkeit des verrückten Denkens‹ leiden. Was ist denn vollbracht worden, was ist erreicht? Niemals wird sich Deutschland korrigieren lassen und schon gar nicht hinnehmen, dass Terroristen deutschen Politikern diktierten, wie man Politik zu machen hat … Was bleibt, sind Zweifel. Was wird uns verschwiegen? Und welche Rolle spielten die Geheimdienste? Waren sie wieder einmal unfähig, eine Tat zu verhindern, die, wäre sie wirklich aufgrund der Visa-Affäre geschehen, hätte verhindert werden können …?«
Croy schob die Zeitungen beiseite. Diese Journalistin ist aus gutem Holz, dachte er anerkennend.
Auf einem weiteren Blatt Papier machte er sich erste Skizzen zu dem Einsatz in Semtin. Er musste jetzt noch Malichova überzeugen, dass sie ihm mit der Ausrüstung und einem Dienstwagen aus dem Wirtschaftsministerium behilflich war.
Croy packte seine Tasche zusammen, schulterte sie, schlenderte die Treppe zur Rezeption hinunter und wechselte noch ein paar Worte mit der Dame der Frühschicht. Dann wählte er von der Rezeption aus Malichovas Nummer im Ministerium und teilte ihr in dürren Worten Kaltenborns Zustimmung mit. Dass er Ausrüstung und einen Wagen brauchte, verpackte er in Worte, die nur er und Malichova verstanden.
»Packen Sie mir doch bitte den Koffer für meine Reise, besorgen Sie mir einen Reiseführer und fragen Sie nach, was ein Mietwagen kostet.«
Malichova antwortete: »Ich werde alles für Sie bis zum Nachmittag erledigt haben. Soll ich es zu den Minoritern bringen?«
»Eine hervorragende Idee«, antwortete Croy. Er würde schnellstmöglich herausfinden müssen, wo sich der Klosterorden in Prag befand.
Er verließ das Hotel, umquerte dabei dreckige Pfützen, besuchte das nur wenige Minuten entfernte Internetcafé in der Galerie des Prager Hauptbahnhofs und rief seine E-Mail-Adresse auf. Storm hatte ihm geantwortet. Croys Bitte um einen Treff beantwortete er mit einem Vorschlag: »Heute 18 Uhr, Eingang der Tschechischen Nationalbank.« Der Ermittler war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er gegenüber Storm nicht doch zu ungerecht war.
Er bestätigte die Mail und rief ein Portal mit historischen Prager Orten auf. Das Kloster der Minoriter war schnell gefunden.
Die Zeit bis zu seinem Treffen mit Malichova vertrieb sich Croy bei einem Spaziergang durch das Jüdische Viertel Josefov, kehrte in das Literaturcafé Tisk ein und arbeitete an einem abseits gelegenen Tisch weiter an der Einsatzskizze für Semtin. Er fühle sich entspannt, seine Stimmung war wieder gelöster.
Gegen 14 Uhr begab er sich zu den nahen Klöstern der Clarissen und des Minoritenordens und ihrer Klosterkirche St. Agnes von Böhmen Na Frantisku in der Prager Altstadt. Ihn trieb nicht nur der Reiz des Mystischen hierher: Kirchen eigneten sich vorzüglich zur Tarnung und zur Beobachtung möglicher Verfolger. Wer einem hier auf den Fersen war, fiel irgendwann auf. Croy blieb vorsichtig, beobachtete die Menschen um sich herum. Einzig zwei alte Damen spazierten ein kurzes Stück vor ihm. Sie unterhielten sich angeregt in Tschechisch und zeigten mit den Händen auf die besonders auffällig gestalteten gotischen Wasserspeier. Croy blickte ebenfalls zu ihnen auf. Die Mäuler der Dämonen, der Ausdruck der teuflischen Mischwesen, wirkten auf ihn wie Spiegelbilder der Täter. Sie waren für ihn auch immer noch fratzenhafte Phantome.
Als sein Videotelefon klingelte, sah er zunächst auf die Nummer:
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