Tristan
einen Dolch, auf dem Rücken das Schwert und am Gürtel zwei Säckchen. In dem einen sind Pfennige, um sie den armen Leuten am Wegrand zu geben, damit sie für uns beten. Im anderen sind die Feuersteine meines Vaters und Zunder, wie es jeder bei sich haben sollte. Das genügt mir.«
»Und die Kugel? - Dein Vater hatte sie immer bei sich, wenn er ausritt.«
»Auch als er von Morgan erschlagen wurde?«
Rual schwieg. Die schmerzhafte Erinnerung lähmte eine Weile seine Zunge. Dann überwand er sich: »An diesem Tag nicht - sonst wäre er noch am Leben. Er ließ sie, warum auch immer, in seiner Truhe, deshalb gibt es sie noch bis zum jetzigen Tag.«
»Du meinst also, ich soll sie bei mir tragen wie einen Glücksbringer? Ich habe ein Kreuz an einem Band um meinen Hals. Und dazu noch mein Schwert, meinen Speer, meinen Dolch - ist das nicht genug?«
Tristans Stimme war ungeduldig geworden. Seine Zieheltern schienen voller Sorge, die er jetzt nicht gebrauchen konnte, sie sollten ihm lieber Mut zusprechen. Rual entschuldigte sich sogleich, Tristan genieße bei allen das vollste Vertrauen. Die Kugel werde er zurück in die Truhe legen.
»Du hast sie herausgenommen?« Tristan war freudig erstaunt.
Rual holte sie, eingeschlagen in einen Lappen, aus seinem Wams hervor. Als Tristan sie in die Hand nahm, wunderte er sich erneut darüber, wie gut sie in sie hineinpasste. Sie wog nicht schwerer als ein Stein, der sich zum Werfen eignete, und da es ja tatsächlich um Riwalins, seines Vaters Erbe ging, das er zurückholen wollte, und um die Wiedereinsetzung des Rechts und nicht um Macht, packte er die Kugel in den Beutel zu den Feuersteinen und dachte voll Zuversicht an die kommenden Tage. Er dankte Rual für seine Fürsorglichkeit und die Treue zu seinem Vater über den Tod hinaus. Von Floräte nahm er ein gelbrot leuchtendes Band für das Handgelenk entgegen und versprach, es in der Schlacht zu tragen und sich immer an sie zu erinnern. Schließlich umarmte er seine Eltern und verneigte sich noch einmal vor ihnen, bevor sie sich zurückzogen und ihn allein ließen.
Tristan fühlte sich ruhig. Alles war gut vorbereitet. Selbst wenn er sterben müsste, wäre Parmenien nicht ohne jeden Schutz. Rual und Floräte, Courvenal und Thomas - sie würden weiter für das wahre Recht streiten, dessen war er sich gewiss.
Sonnenopfer ~200~ Gemetzel
Das Sonnenfest auf Morgans Burg hatte noch nicht begonnen. Erst wenn Mittag war, die Göttin am höchsten stand und die Schatten sich verkürzten, wurde die Messingschale geschlagen, und ihr tiefer Ton ließ siebenmal zwölf Schläge lang alle Herzen schneller pochen, weil sie dem sich beschleunigenden Rhythmus folgten. Sollten glückliche Monate auf diese Feier hin folgen, wurde erwartet, dass dabei einer der Umstehenden beim letzten Schlag starb, im Wohllaut des Gongs zusammenbrach, um der Göttin als Opfer zu dienen. Dafür wurden Greise ausgesucht, die sich kaum mehr aufrecht halten konnten. Mit dem letzten Gong erhielt dann einer von ihnen, der willkürlich ausgewählt worden war, einen Schlag mit einem Knüppel gegen den Hinterkopf oder ins Genick, damit sich das Schicksal erfüllte. Der Leichnam wurde in die Mitte der Burg geschleppt und unter dem Jubel aller auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Jeder konnte sich glücklich schätzen, solch eine Bestattung zu haben, denn das war der direkte Weg zu Gott. Danach begann das Fest mit reichlich Met, Wein und Essen für alle.
Darragh, Morgans Hauptmann, hatte für das Ritual ein altes Weib bestimmt, das nicht weit von ihm in einer Hütte lebte und ihm lästig war, weil es ihn mit ihren Blicken wie einen räudigen Hund verfolgte. Er hätte schon hundertmal Gelegenheit gehabt, sie durch seine Knechte beiseitezuschaffen. Aber er wagte es nicht. Sie war im Bund mit Geistern. Die Leute suchten Trost bei ihr, ließen sich Kräuter geben und holten sich Rat. Sie hieß Elbeth, war stumm und schien allein durch die Magie ihrer Augen und ihrer Hände zu heilen. Vor langer Zeit schon war sie in Morgans Burg aufgetaucht. Aus welchem Grund auch immer hatte ihr ein Kaufmann eine Bleibe auf seinem Anwesen verschafft, obwohl sie nichts hatte als die verdreckten und von Blut verschmierten, wie von Rost befallenen Kleider, die sie am Leib trug. Die Hütte, in der sie unterkam, war ausgerechnet in der Nähe von Darraghs Unterkunft gelegen, in der er mit seiner Frau Vita und vier Töchtern lebte.
Darragh war froh, nur Töchter zu haben, denn sie taten
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