Troja
»Erhebung der Augen«. Das Kind war neues Leben und Licht in der Düsternis, mehr als einen Mond lang Zartheit und Lachen. Dann starb es, auf dem Bauch der Mutter schlafend.
Ninurta fühlte sich in einen schwarzen Schacht zurückgestoßen, aus dem er eben erst mühsam herausgeklettert war; gleichzeitig war ihm, als sei er selbst dieser Schacht, ein ausgeschöpfter Brunnen, der keinen Boden mehr hatte. Er erfuhr nie, was Tashmetu dachte. Sie schloß sich ab. Als sie spürte, daß das Kind sich nicht regte und nicht atmete, nahm sie es in die Arme; dann stieß sie einen gellenden Schrei aus, einen einzigen, und verhüllte ihr Gesicht. Sie weinte wenig und sprach gar nicht, anfangs; nach ein paar Tagen begann sie mit langen Wanderungen über die Insel. Ninurta begleitete sie manchmal; weder lehnte sie dies ab, noch bat sie darum. Schließlich schien alles wieder zu sein wie vorher: Tashmetu beteiligte sich an den nötigen Arbeiten, saß abends mit den anderen im großen Raum, meist nah am Feuer; wenn man sie ansprach, antwortete sie freundlich. Die meiste Zeit saß sie still da, nahm gelegentlich einen Schluck Wein, betrachtete den langen Tisch, die vielen verschiedenen Sitze und Sessel, Scherenstühle, aus leichtem und schwerem Holz, hell, dunkel, beschnitzt, mit Einlegearbeiten und Figuren geschmückt oder mit Fellen und Leder bezogen – betrachtete sie, als habe sie sie nie zuvor gesehen. Hin und wieder stand sie auf, den Becher in der Hand, und ging die rückwärtige Längswand entlang, strich über Ishtars Brüste, rückte Öllampen auf Wandborden zurecht, zupfte an bunten gewebten Wandbildern, folgte mit der Fingerspitze einer dünnen Linie auf dem riesigen Bronzeschild, der einmal einem sumerischen König gehört hatte, von dem zahlreiche Über und Unterweltgeschichten erzählt wurden. Sie war die kluge, schöne Frau, beherrscht, wie alle sie kannten; sie war aber auch eine andere. Als irgendwann in einer stürmischen Nacht Ninurta zum ersten Mal seit Troja neues Feuer in den Lenden spürte und die Hand nach ihr ausstreckte, war ihm, als berühre er totes Fleisch. Sie stieß ihn nicht zurück, aber das war auch nicht nötig, denn das geringe Feuer erlosch sofort.
Einige Tage später, in einer Felsenbucht am Nordrand der Insel, saßen sie nebeneinander über dem Wasser, als es zu regnen begann. Es war ein seltsamer Regen, der beinahe gegen den Nordwind aus Süden zu kommen schien und weit wärmer war als die Luft. Plötzlich wandte sich Tashmetu dem Assyrer zu, öffnete den Mund und schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende. Regen rann ihr durchs Haar und über das Gesicht; sie streckte ihm beide Hände entgegen, als brauche sie Hilfe; als er sie in die Arme nahm, fast ohne es zu wollen oder jedenfalls ohne es zu beabsichtigen – etwas in ihm nahm sie in Arme, die ihm zunächst nicht vertraut waren –, und ihre Wangen mit den Lippen streifte, schmeckte er die salzigen Tränen. Dann suchte sie seinen Mund, gierig und glühend, und ihr von Regen und Tränen entfachtes Feuer reichte aus, seines neu zu entzünden. Es war unbequem, dort ohne Decken oder sonstige Unterlage auf den nassen Felsen, aber es war auch unvergleichlich kostbar und köstlich.
Das einzige, was sie über den Verlust sagte, war eigentlich nicht über den Verlust, sondern eine düstere Vorhersage, in heiterem Ton mit einem Lächeln ausgesprochen.
»Liebster, ich fürchte, wir werden niemals Kinder haben.«
»Du hast einen kindischen Assyrer«, sagte er. Irgendwie sprach er eher zu ihren Augen als zu ihren Ohren. »Das ist für dich weniger, als dir zusteht, aber für ihn mehr, als er verkraften kann.«
Sie lächelte, und es war nicht nötig zu reden.
Die Schiffbauer besserten die Kerets Nutzen aus und die Yalussu , danach die Kynara und die Gorgo . Bei den langen Beratungen der Eigner und Werker wurde beschlossen, nach Betrachtung von Bateia und Djosers Stößel das schlechteste der Schiffe zu verkaufen. Tashmetu und Ninurta wollten gemeinsam reisen, was keinen überraschte; Kynara fand, das nach ihr benannte Schiff sei ohne sie unvollständig, und als Zaqarbal allzu betont ächzte, legte sie die Hand in seinen Schoß und sagte: »Ruhe, oder ich zwicke.« Die Meister und Werker des Zusatzrats einigten sich darauf, eines der Schiffe gemeinsam zu nutzen, als Sammel-Eigner; mühelos brachten sie genug Silber auf, um das Schiff zu übernehmen und als Gemeinschaft den gleichen Anteil am Unternehmen zu halten wie jeder der anderen
Weitere Kostenlose Bücher