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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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bedecken, während Patrick Kaffee holt: irgendetwas mit aufgeschäumter Milch für ihn und einen Americano für mich (im Russell nennen sie es »schwarzer Kaffee«). Ich habe einen Stapel homöopathischer Lehrbücher vor mir liegen, und sie wirken hier drinnen, wie auch ich, fehl am Platz. Die Spiegel reflektieren meinen ungesunden Teint, die Blässe unter meinem roten Haar und die ausgefransten Hosenbeine meiner Jeans, die ich für unauffällig gehalten hatte. Heute Morgen habe ich den schwarzen Pullover angezogen, ohne darüber nachzudenken, aber jetzt kann ich sehen, wie dünn die Wolle geworden ist und wie scheckig ich damit aussehe. Wenn meine Haarfarbe nicht wäre, würde ich mehr oder weniger wie eine schlechte Schwarz-Weiß-Fotokopie wirken.
    Patrick stellt mir meinen Kaffee hin und schaut aus dem Fenster. »Mannomann, heute hat man aber einen weiten Blick«, sagt er, als er sich hinsetzt. Der Himmel ist immer noch zu blau, um wahr zu sein.
    »Ja, aber man kann die Kathedrale nicht sehen.« Alles, was man von hier oben sehen kann, sind Felder mit nichts drauf und weiter weg seltsame Industrietürme.
    »Ist es dir wichtig, immer die Kathedrale sehen zu können?«
    »Ich glaube schon. Ich meine, es ist das Einzige, was sich zu sehen lohnt, oder? Von hier oben.«
    »Vielleicht.« Patrick gräbt mit einem dünnen Stiellöffel in seinem Schaum herum. Mir fällt auf, dass seine Hände etwas zittern, und auf seiner Stirn liegt ein leichter, glänzender Schweißfilm. »Also dann.«
    »Also dann«, erwidere ich. »Geht es …« Was soll ich sagen? Ich hatte vor, ihn zu fragen, ob es ihm bessergeht, aber dann wird mir klar, dass das eine blöde Frage wäre, weil es mir eigentlich ziemlich egal ist, wie es ihm geht. Die Ellipsen hängen einen Moment lang in der Luft, und dann vervollständigt Patrick die an ihn gerichtete Frage und beantwortet sie.
    »Ja. Emma ist wieder zurück. Es …« Er stochert weiter in seinem Schaum herum. »Es tut mir leid, wenn ich gestern einen seltsamen Eindruck gemacht habe. Kannst du mir das verzeihen?«
    »Ist schon okay«, höre ich mich sagen. »Es ist ja nicht so, dass ich gesagt hätte … Du weißt schon, ich meine …«
    »Nein, aber trotzdem. Ich hätte nicht …«
    »Ich meine, vielleicht sollten wir versuchen … in Zukunft zu vermeiden …«
    Das Monster Munch ist nicht der Ort, wo man so ein Gespräch führen kann. Das hier ist ein nach-mitternächtliches ganz-und-gar-nicht-jugendfreies Jazzclub-Gespräch, und wir versuchen, es an einem Ort zu führen, der so aussieht, als hätte man ihn bereits zensiert.
    »Egal«, sage ich.
    »Es tut mir wirklich leid.«
    »Ist schon okay.«
    Ich denke an Frankensteins Monster, die Romanfigur, die indirekt diesem Lokal seinen Namen gegeben hat. Dort lag sie, leblos und unbeseelt über das Bett geworfen, mit herunterhängendem Kopf, ihre blassen und verzerrten Gesichtszüge halb von ihren Haaren verdeckt … Das mörderische Mal vom Griff des Ungeheuers war an ihrem Hals zu sehen, und der Atem hatte aufgehört, ihren Lippen zu entweichen. Das hatte Victor Frankensteins Geschöpf seiner Verlobten Elizabeth angetan. Vielleicht ist dies doch der richtige Ort für dieses Gespräch.
    »Du …«, beginne ich im selben Moment, als Patrick »Ich« sagt.
    »Du zuerst«, sagt er.
    »Nein, sprich weiter.«
    »Nein, wirklich du.«
    »Ich will nur … ich will kein Ersatz für deine Frau sein. Besonders dann nicht, wenn du wütend auf sie bist. Das war nicht abgemacht.«
    »Nein. Tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen.«
    Wir schweigen einige Augenblicke lang. Ich trinke meinen Kaffee und spüre flüchtig das Verlangen nach einer Zigarette. Zwei Frauen kommen rein und bestellen einen Saft an der Bar und setzen sich an den Tisch hinter uns.
    »Wieso hast du denn homöopathische Medikamente genommen?«, frage ich Patrick.
    Er zuckt mit den Schultern. »Jemand hat mir vor einer Weile empfohlen, eine Homöopathin aufzusuchen.«
    »Und wie war es?«
    Er nippt an seinem Kaffee, und mir fällt auf, dass seine Hände nicht mehr zittern.
    »Es war interessant.« Er runzelt die Stirn. »Sie stellen dir eine Menge merkwürdiger Fragen. Sie wollen wissen, was du am liebsten isst, wovon du träumst, womit du dein Geld verdienst und wie du dich dabei fühlst. In gewisser Weise ist es wie bei einer Psychotherapie.«
    Ich habe mal mit einem Psychotherapeuten zu tun gehabt. Eine Turnlehrerin sah die Narben an meinen Oberschenkeln und schickte mich zum Schularzt. Der

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