Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
an?«
»Entschuldige. Ich schätze, ich habe eigentlich nie wirklich geglaubt, daß du wieder so aussehen könntest wie du selbst. Und jetzt — jetzt ist es so. Bis auf die Haare.«
Sie bebte vor Freude, weil er ihren Betrug nicht durchschaute.
»Frierst du?«
»Was? Nein.« Sie suchte nach einer Möglichkeit, ihn abzulenken. »Was ist das?« fragte sie und deutete mit dem Kinn auf das Päckchen, das er mitgebracht hatte.
»Ach, das ist dein Schmuck.«
»Schmuck?« Die Seifenblase platzte. Sie schluckte schwer.
»Das, was du am Tag des Absturzes getragen hast. Das Krankenhaus hat heute angerufen, um mich daran zu erinnern, daß er immer noch dort im Safe liegt.« Avery starrte das Päckchen an, als wäre es eine Giftschlange, nahm es aber schließlich in die Hand. »Ich habe mir nicht die Zeit genommen, den Inhalt zu überprüfen«, sagte er, »aber vielleicht solltest du das lieber gleich tun.«
Sie legte die Schachtel in ihren Schoß. »Das mache ich später.«
»Ich dachte, du wolltest deine Sachen zurückhaben.«
»Oh, das stimmt auch. Aber im Moment wäre mir Schmuck noch unangenehm.« Sie machte eine Faust, öffnete sie langsam und streckte die Finger aus. »Meine Hände sind fast wieder normal, aber immer noch sehr empfindlich. Ich glaube, Ringe an-und abzuziehen würde mir schwerfallen.«
»Das wäre doch immerhin einen Versuch wert, oder? Zumindest was deinen Trauring betrifft.«
Seine rauhen Worte erschrecken sie. Ihr fiel auf, daß er auch keinen Trauring trug, und sie fühlte sich versucht, das zu Caroles Verteidigung vorzubringen, unterdrückte aber den Impuls. Wenn Carole den Ring aus sittenwidrigen Gründen weggelassen hatte, wie seine Bemerkung andeutete, war es vielleicht besser, das Thema zu vermeiden — erst einmal.
Tate setzte sich auf die Bettkante. Die unangenehme Stille zog sich in die Länge. Avery unterbrach sie zuerst. »War deine Reise so erfolgreich, wie du gehofft hattest?«
»Ja, prima. Und unwahrscheinlich anstrengend.«
»Ich habe dich fast jeden Abend im Fernsehen gesehen. Die Leute schienen von dir begeistert zu sein.«
»Alle haben sich über die positiven Reaktionen gefreut.«
»Die Umfrageergebnisse stehen zu deinen Gunsten, und die Wahlanalytiker prophezeien, daß du den ersten Wahlgang ohne jede Mühe schaffst.«
»Das hoffe ich auch.«
Sie schwiegen wieder, während sich beide Mühe gaben, den anderen nicht anzustarren.
»Wie geht es Mandy?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ganz gut.«
Avery runzelte zweifelnd die Stirn.
»Na ja, nicht ganz so gut.« Er stand auf und ging auf und ab, wobei seine Stiefelabsätze Eindrücke auf dem Teppich hinterließen. »Mama sagt, daß sie immer noch Alpträume hat. Fast jede Nacht wacht sie schreiend auf, manchmal sogar beim Mittagsschlaf. Sie wandert durch das Haus wie ein kleiner Geist.« Er streckte die Hände aus, als wolle er nach etwas greifen, und schloß sie dann. »Sie ist einfach nicht richtig da, verstehst du? Keiner dringt zu ihr durch — ich nicht, und die Psychologin auch nicht.«
»Ich habe Zee gebeten, sie zu mir zu bringen. Sie meint, du hättest sie angewiesen, das nicht zu tun.«
»Das stimmt.«
»Warum?«
»Ich dachte, daß es nicht so gut ist, wenn sie dich ohne mich besucht.«
Sie stellte ihr Glück nicht auf die Probe, indem sie ihn nach dem Grund fragte. Vielleicht würde dabei eine Auseinandersetzung entstehen, die sie noch nicht meistern konnte. »Ich vermisse sie. Wenn ich zu Hause bin, wird es ihr bestimmt besser gehen.«
Seine Zweifel waren offensichtlich. »Vielleicht.«
»Fragt sie denn nie nach mir?«
»Nein.«
Avery senkte den Blick. »Ach so.«
»Was hast du denn erwartet, Carole? Man bekommt nur zurück, was man auch gibt.«
Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke, dann hob sie die Hand zur Stirn. Tränen standen in ihren Augen. Sie weinte für dieses Kind, das nicht genug Liebe von seiner Mutter bekommen hatte. Arme kleine Mandy. Avery wußte, wie es sich anfühlte, keine Aufmerksamkeit von seinen Eltern zu bekommen.
»Ach, Scheiße«, sagte Tate leise. Er durchquerte das Zimmer und legte sanft die Hand auf Averys Kopf. Seine Finger strichen über ihr kurzes Haar. »Entschuldige, ich wollte dich nicht zum
Weinen bringen. Mandy wird sich schon wieder erholen, bestimmt.« Kurz darauf sagte er: »Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen.«
»Nein! Bitte geh noch nicht.«
»Ich bin müde und gereizt nach der anstrengenden Reise — und kein guter
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