TS 82: Geheimagentin der Erde
sie das kleine Mädchen mit den alten Augen, das die alte Nyloo zu begleiten pflegte. Es hieß Pettajem, was „Kleines Schmuckstück“ bedeutete. Pettajem war für ihr Alter meist so still und beherrscht, jetzt aber kämpfte sie mit den Tränen. Hatte Nyloo sie vielleicht für irgend etwas bestraft? Maddalena fragte:
„Pettajem, was hast du?“
Das Mädchen bewegte den Mund, sah aber Maddalena nur aus ihren großen Augen an und brachte kein Wort heraus. Maddalena wollte sich nicht zu sehr einmischen und wandte sich ab, um zu gehen, als sie ein sonderbares Kratzen hörte. Es hörte sich an, als ob draußen jemand versuchte, einen Weg nach drinnen zu finden.
Maddalena starrte Pettajem an. Wenn das irgendein wildes Wesen war, das einbrechen wollte, so mußte sofort etwas geschehen. Sie fragte:
„Ist Nyloo benachrichtigt?“
Pettajem nickte verzagt:
„J-ja. Sie sagt, es ist der Geist von dem, der neulich hinausgejagt wurde, der nun wieder hineinwill.“
Graddo? Das war Unsinn. Der arme Kerl mußte schon wenige Stunden nach der Austreibung erfroren sein. Aber es war auch keine Täuschung: Da draußen kratzte sehr deutlich etwas an der Schneewand.
„Gibt es hier wilde Tiere?“ fragte Maddalena.
Pettajem schüttelte den Kopf.
Es zuckte ihr durch den Kopf: und wenn es ein Mensch war? Zum Beispiel Gus Langenschmidt, der die Katastrophe überlebt und sich hierher durchgeschlagen hatte? Sie überhörte den Schrei vonPettajem, stürzte an die Schneewand und schlug dreimal auf die fest gefrorene Oberfläche.
Dreimal klopfte es zur Antwort. Maddalena war überzeugt, daß sie recht hatte. Sie drehte sich zu dem Kind um:
„Zu Nyloo! Sag ihr, das sei kein Geist!“
Sie wartete nicht, bis das Kind weg war, sondern riß ihr Messer heraus, daß sie für alle Fälle immer bei sich trug, und begann, die Schneemauer aufzukratzen. Pettajem sah sie entsetzt an und rannte davon.
Der Fremde draußen hatte gute Arbeit geleistet, denn schon nach wenigen Augenblicken brach die Wand und eisiger Wind pfiff durch das Loch. Sekundenlang war sie geblendet. Der Eindringling draußen arbeitete jetzt wie ein Wilder, um das Loch zu erweitern, und zwanzig Pfund schwere Brocken polterten zu Boden. Maddalena wischte sich den stiebenden Schnee aus dem Gesicht. Sie blickte auf – und begann zu lachen.
Sie lachte immer noch, als Leute herbeigestürzt kamen, Nyloo, mehrere Priester, Flüchtlinge, und auch Saikmar. Zu Saikmar drehte sich Maddalena um:
„Da!“ sagte sie. „Das ist Ihr Omen. Das ist für Sie und für keinen anderen bestimmt.“
Saikmar nickte. Er lächelte wider Willen. Man konnte den Eindringling trotz seiner gewaltigen Kraft nicht recht ernst nehmen, denn er sah zu verfroren aus.
Es war ihr Freund, das Parradil. Die Kälte hatte es aus seinem Lager getrieben. Nun suchte es den Schutz, den ihm die eisige Höhle nicht geboten hatte.
Es war seltsam: gegen die Aufnahme des Parradils sträubte man sich weniger als vorher gegen Maddalena. Die wunderbaren Ereignisse der letzten Zeit hatte die Ansichten aufgelockert, und seit der Hunger gebannt war, waren die Meinungen sehr viel freundlicher. Und als sie sahen, daß das gefährliche Tier sich Maddalena und Saikmar gegenüber so freundlich und zahm benahm, waren sie sicher, daß auch jetzt wieder etwas Übernatürliches im Gange war.
Saikmar hatte sich sehr gründlich mit den Lebensgewohnheiten der Parradile beschäftigt und erklärte sofort, die Kälte habe das Tier aus dem Winterschlaf aufgeweckt. Maddalena befragte ihn genau über die Lebensgewohnheiten der Gattung. Saikmar antwortete lebhaft. Das Auftauchen des Parradils hatte ihn aus seiner Lethargie gerissen.
„Ich war damals schon erstaunt“, sagte er, „als ich sah, daß dieses Parradil sich selber ein Nest gebaut hatte. So etwas hat man nie vorher beobachtet.“
Er sah Maddalena an, deren Gesichtsausdruck sich völlig veränderte. Er fragte:
„Stimmt etwas nicht?“
„Doch, doch, alles in Ordnung.“ Sie unterdrückte ihre Erregung. Sie stand vor einer unerhörten Entdeckung. Denn wenn dieses Tier fähig gewesen war zu erkennen, daß sie selbst einen Schutz gegen die Kälte gebraucht hatte, dann war das Parradil ohne Zweifel das intelligenteste nichtmenschliche Lebewesen, dem man jemals begegnet war. Von Saikmar wußte sie schon, daß die Parradile als Flugtiere es erst von den Segelfliegern der Menschen gelernt hatten, die heißen Aufwinde über den Vulkanen der Smoking Hills auszunutzen. Auch das war ein
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