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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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halten?«
    »Aber sicher. Bestimmt von den beiden letzten Bildern!«
    »In tormentis pinxit«, erwiderte Nicholas und grinste mühsam.
    »Was heißt das?« erkundigte sich William Cherborg.
    »Der Vater von Friedrich dem Großen war eine Art Sonntagsmaler. Er schuf seine Bilder unter entsetzlichen körperlichen Qualen – er war krank. Er signierte die Bilder mit diesem lateinischen Zitat; es bedeutet: Unter Schmerzen gemalt. Das ist es – gehört zur Allgemeinbildung!« sagte Nicholas zu William.
    »Herzlichen Dank für die Bereicherung!« meinte William und wandte sich wieder seinen schmelzenden Eiswürfeln zu.
    »Vielleicht ist es überhaupt so«, sinnierte Grenelle, »daß alle größeren Dinge unter Schmerzen vollzogen werden müssen, um groß zu sein. Mozart hungerte während des Komponierens, Beethoven war fast taub, als er die Neunte schuf. Van Gogh arbeitete im halben Wahnsinn. Jeder Mensch wird unter Schmerzen zur Welt gebracht. Vielleicht sind Ihre Bilder deswegen so gut. Sie werden sehen, Nicholas!«
    »Und Sie sind der Mensch, der für jedes Ding eine eigene These bereithält«, antwortete der junge Student.
    »Sicher. Jede menschliche Regung läßt sich auf wenige Faktoren zurückführen. Ein zynischer Arzt wird die Hormone für alles verantwortlich machen, ein durchschnittlicher Mensch wie ich sucht andere Gründe. Vorhanden ist stets ein Anlaß, nichts geschieht ohne ihn.«
    »Wir verlieren uns in philosophische Betrachtungen!« sagte Claudine.
    »Sie haben völlig recht«, meinte Grenelle und lachte laut. Er war ein kleines bißchen betrunken.
    »Ich bin noch nüchtern«, sagte Nicholas. »Ich kann uns heimfahren, wenn Sie mir Ihren Wagen anvertrauen!«
    »Keine Sorge«, meinte Grenelle leichthin, »ich fahre noch mit wesentlich mehr Cola im Blut.«
    Die Studentenband stimmte Let the light from the lighthouse shine an. Ein kehliger Halbbaß sang den Text.
    Vier Uhr morgens ...
    Nicholas fuhr zuerst Claudine heim, dann William Cherborg, dann schließlich Grenelle in dessen Appartement. Der Bärtige wohnte in einer jener riesigen Wohnwaben am östlichen Rand der City. Er hatte die winzige Zweizimmerwohnung modern, aber mit erlesenem Geschmack eingerichtet.
    Zwischen rechteckigen Polstermöbeln und Schränken hingen und standen alte Plastiken afrikanischer oder mexikanischer Volkskunst. Einige von ihnen konnte Nicholas als geschickte Abgüsse identifizieren, die anderen, mehr als die Hälfte, waren echt.
    Nicholas setzte sich Grenelle gegenüber, der sich die Jacke auszog und sich in einen tiefen Sessel fallen ließ. Er schaltete einen Plattenspieler ein, und andalusische Folklore klang durch den Raum.
    »Hier«, sagte er und zog aus einer Schublade einen Schnellhefter, der unglaublich zerknittert aussah, »hier sind meine gesammelten Träume. In tormentis scriptis? ... geschrieben! ... ich weiß den lateinischen Ausdruck jetzt nicht mehr. Wollen Sie's lesen?«
    »Gern«, sagte Nicholas, »wann brauchen Sie es wieder?«
    »Hoffentlich ermüdet es Sie nicht zu sehr. Zurück? Wenn Sie damit durch sind. Sie werden mich reif für den Psychiater halten, wenn Sie damit fertig sind. Wollen Sie es mitnehmen?«
    »Natürlich. Warum sind Sie eigentlich nicht verheiratet?« erkundigte sich Nicholas und rollte eine Zigarette aus dem Kästchen, das ihm Grenelle hinhielt.
    »Können Sie sich eine Frau vorstellen, die meine verrückte Gegenwart ertragen könnte?« fragte Grenelle grinsend zurück.
    Nicholas brannte die Zigarette an und zuckte mit den Schultern.
    »Warum nicht?«
    »Ich nicht! Bisher fand ich auch keine. Ihre Claudine – sie würde mir gefallen. Mischung zwischen Weibchen und intelligenter Partnerin. Liebt ihr euch?«
    Nicholas zuckte wieder mit den Schultern.
    »Keine Ahnung«, sagte er. »Wir finden uns gegenseitig nicht unsympathisch!«
    Grenelle lachte.
    »Ihre Formulierungen sind auch nicht gerade geistlos«, sagte er anerkennend.
    »Danke«, erwiderte Nicholas artig und nickte. »Aber jetzt werde ich gehen, denn es ist spät.«
    »Tun Sie das«, sagte Grenelle schläfrig. »Haben Sie Geld für ein Taxi?«
    »Es hat aufgehört zu regnen«, sagte Nicholas, »ich gehe zu Fuß.«
    »Gut. Zwischen Nacht und Morgen – unwirkliche, gespenstische Zeit. Wie unser Leben. Wie Ihre Bilder. Ich bin betrunken. Sie auch?«
    »Nein«, sagte Nicholas matt. Er hielt den Hefter unter dem linken Ellenbogen fest und schüttelte Grenelle lange die Hand. Grenelle schloß hinter Nicholas die Tür und sagte

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