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Ueber die Wupper

Ueber die Wupper

Titel: Ueber die Wupper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Noske
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Scheune hervorkam. Margit ging in die Hocke und kraulte
den Hund hinter den Ohren. Max streute Tabak auf das
Zigarettenpapier und trat zurück in den Flur.
    Er hatte noch keine
zwei Schritte gemacht, als es passierte.
    Später würde
Max sagen, es sei so gewesen wie in der einen Szene aus Lohn der
Angst mit Yves Montand und Peter van Eyck. Der Tabak lag auf dem
Papier, und in der nächsten Sekunde war er nicht mehr da. Dann
folgte ein Schlag, der Max von den Beinen fegte und ihn bis in die
Küche katapultierte.
    Das blanke Inferno.
Eine Druckwelle, die das Haus erzittern ließ. Ein Knall
jenseits aller Schmerzgrenzen.
    Einzelne Bilder, wie
Schnappschüsse, die sich Max unauslöschlich ins Gehirn
brannten. Der umstürzende Küchenschrank, der alles
Geschirr ausspuckte. Die Wohnzimmertür, die einfach aus dem
Rahmen geblasen wurde. Die Ottomane, die samt Arno auf einmal
senkrecht stand. Wolle und Curd, die auf ihren Stühlen sitzend
gegen die Wand geschleudert wurden. Dazu das Bersten der Scheiben
und der anschließende Regen aus Scherben, Holzsplittern, Gips
und Dreck.   
    Und auf einmal wurde
es still.
    Staub, dicht wie
Nebel, senkte sich herab. Drang in Augen, Mund und Nase. Blind und
hustend rappelte Max sich hoch, stolperte über zerbrochenes
Geschirr, lief gegen eine Wand, tastete sich durch den Flur nach
draußen.
    Ein tiefer
Atemzug.
    Die eine Hälfte
der Scheune fehlte. Die andere Hälfte sah aus, als habe ihr
ein Riese einen Fußtritt verpaßt. Der Heuboden schien
in der Luft zu
hängen.      
    Der Blitz war
verschwunden. An seiner Stelle ein rauchender Krater. Der Skoda.
Ein Haufen verbogenes Blech. Arnos Harley. Ein Knäuel aus
Eisen und Gummi. Ein einzelner Reifen kam von irgendwo und rollte
vom Hof, die Stichstraße hinunter. Vorbei an dem, was von
Margits Ente übrig geblieben war.
    Margit!
    Schreiend stürzte
Max zu der Stelle, wo er sie zuletzt gesehen hatte. Nichts. Drehte
sich um sich selbst wie ein Kreisel. Einmal. Zweimal. Dreimal.
Alles und zugleich nichts erfassend.
    Dann sah er sie. Ein
Stück die Straße hinunter. Mitten auf der
Fahrbahn.
    Schleppend, beinahe
unwillig, als ließe sich das Grauenhafte durch Zögern
vermeiden, setzte Max sich in Bewegung. Mit hängenden
Schultern. Schlurfend.
    Kam an Bessie vorbei.
Der Hund zerfetzt. Noch zwei Schritte. Noch einer.
    Margit lag auf dem
Bauch. Ein Bein etwas angezogen. Den linken Arm leicht angewinkelt.
Die Hand in der Taille. Den anderen Arm unter dem Kopf. Die Haare
wie ein Vorhang über der linken
Gesichtshälfte.
    Max ging auf die Knie.
Strich ihre Haare zurück. Faßte sie vorsichtig an der
Schulter. Schob seine Rechte unter ihren Kopf. Drehte sie behutsam
herum.
    Blut.
    Alles, was Max sah,
war Blut. Stirn. Augen. Nase. Blut. Wangen. Mund. Kinn. Nichts als
Blut. Ihr Hals. Blut. Ihr Kleid. Getränkt von Blut.
    Wie in Zeitlupe nahm
Max sie in die Arme. Legte seine Wange an ihre. Drückte sie an
sich. Hielt sie. Wiegte sie.
    Wiegte sie noch, als
in der Ferne die ersten Sirenen ertönten.

26
    Feuerwehrleute,
Polizisten und Notärzte schwirrten über den Hof und durch
das Haus. Kommandos wurden gebrüllt. Schläuche und
Maßbänder entrollt. Bergewerkzeug, Erste-Hilfe-Koffer
und Tragen herangeschleppt. Mitten im Gewühl stand Stricker
vom RGA und quasselte sein Diktiergerät voll. Der Fotograf,
den er mitgebracht hatte, wechselte gerade den Film.
    Die Scheune
mußte abgestützt werden. Der Skoda, der mit
Verspätung in Flammen aufgegangen war, wurde
eingeschäumt. Irgendwo war eine Wasserleitung geborsten.
Verstörte Schafe und Zwerghühner liefen herum. Ein Chaos,
das an Reportagen aus Bürgerkriegsgebieten
erinnerte.
    Das provisorische
Lazarett befand sich im Wohnzimmer.
    Verdreckt und
blutverschmiert lag Max vor der Stereo-Anlage auf dem Teppich und
zitterte völlig unkontrolliert. So stark, daß er weder
reden noch rauchen konnte.
    »Ganz ruhig,
Max«, sagte Margit, die neben ihm kniete und seine Hand
hielt. »Ist doch vorbei.«
    Max schloß die
Augen. Mit der freien Hand zog er Margits Kopf an seine Brust und
fuhr ihr durchs Haar. Immer wieder.
    »Mein Gott, ich
dachte, du wärst tot«, stammelte er.
    »Dein Hund hat
mir das Leben gerettet. Hätte Bessie nicht vor mir gestanden,
hätte mich der Splitter getroffen.«
    Ein Paar weiße
Hosenbeine tauchten in Max' Augenwinkeln auf, und eine sonore
Stimme sagte: »Wollen Sie eine Beruhigungsspritze, Herr
Hellenrath?«
    »Nicht
nötig«, sagte Max. »Es geht schon
wieder.«
    Margit löste

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