Unbescholten: Thriller (German Edition)
Portemonnaie, das Magazin seiner Pistole und die Autoschlüssel.«
»Und jetzt?«
Jens hörte die Angst in ihrer Stimme.
»Ist die Polizei jetzt gefährlicher für mich?«, fragte sie.
»Keine Ahnung. Vielleicht haben wir Glück.«
»Wieso?«
»Vielleicht vertuscht er es, dieser Polizisten-Lars. Vielleicht behält er es für sich, weil er sich schämt. Das muss auch der Grund dafür sein, warum er das Auto abgefackelt hat.«
»Oder auch nicht. Diese Aktion macht vielleicht alles noch schlimmer, vor allem für Albert. Hast du mal darüber nachgedacht?«
»Ja, das habe ich. Aber ich habe es deiner möglichen Enttarnung vor Hector und Aron vorgezogen. Das wäre noch schlimmer gewesen.«
Er hörte ihre Schritte auf dem Asphalt. Er wusste nicht, was er sagen sollte. »Was machst du heute?«, stieß er schließlich hervor. Er bereute es sofort.
»Ich muss arbeiten.«
Er überlegte, was er noch sagen könnte, aber ihm fiel nichts ein.
»Tschüss, Sophie.«
Sie legte wortlos auf.
Sara hatte in einem Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite gewartet. Sie sah, wie Lars aus dem Haus kam. Er bewegte sich steif und sah krank aus.
Sara wartete, bis er außer Sichtweite war. Dann stand sie auf und überquerte die Swedenborgsgatan. Im Aufzug nahm sie die Sonnenbrille ab und betrachtete ihr Gesicht. Das Veilchen, das er ihr verpasst hatte, entstellte immer noch ihr rechtes Auge. Stellenweise ging das Blau schon in Grün über – sie sah furchtbar aus.
Sara öffnete die Tür und trat in die Wohnung. Auf dem Boden lagen ungeöffnete Briefe, es roch muffig und dumpf.
Sie ging ins Arbeitszimmer. Dort war es dunkel und unordentlich. Auf dem Boden lagen eine Matratze und ein fleckiges Kissen ohne Bezug, neben der Matratze eine Wolldecke. Ein paar Teller mit Essensresten und Gläser standen herum, daneben lag benutztes Küchenpapier. Mein Gott!, dachte sie.
Und dann diese Wand, die vollgekritzelte Wand. Sara holte tief Luft, zog sich einen Stuhl heran und betrachtete das Durcheinander. Es machte sie plötzlich unendlich traurig, dass der Mann, den sie geliebt hatte, so vollkommen den Halt verloren hatte. Dass dies nun sein Leben war. Aber ihre Trauer und ihr Mitleid hielten nicht lange an. Stattdessen spürte sie, wie Hass in ihr hochstieg. Sie hasste ihn für das, was er ihr angetan hatte.
Sara sah das Foto einer Frau namens Sophie, das Bild eines Mannes, Hector. Und weitere Namen neben weiteren Fotos: Gunilla, Anders, Hasse, Albert, Aron. Und einen Mann ohne Namen, der auf einer Bank am Wasser saß, wie es aussah, am Strandvägen. Sara ließ den Blick über die Wand gleiten und verstand überhaupt nichts mehr. Auf jedem freien Zentimeter stand etwas in kleiner Schrift, vieles durchgestrichen, manisch durchgestrichen, wie ihr schien. Daneben gab es Text in großen, fahrigen Buchstaben, als hätte Lars es in weggetretenem Zustand geschrieben.
Sie startete seinen Computer, das Passwort kannte sie noch aus der Zeit, als sie ihn gemeinsam benutzt hatten. Während sie darauf wartete, dass der Computer hochfuhr, zog sie nacheinander die Schreibtischschubladen auf. In der untersten entdeckte sie einen Ordner, auf den jemand eine Blume gemalt hatte. Sie schlug ihn auf und fand ausgedruckte Fotos auf A4-Papier, der ganze Ordner war voll davon und immer die gleiche Frau. Sie drehte sich um und schaute wieder auf die Wand. Sophie. Sophie auf dem Fahrrad, Sophie in der Küche – das Bild war durch das Fenster aufgenommen worden. Sophie beim Spazierengehen, Sophie bei der Gartenarbeit, Sophie, die durch eine große Eingangstür ging. Sophie im Schlaf. Was sollte das? Es war eine Großaufnahme ihres schlafenden Gesichts. Das Foto musste in ihrem Schlafzimmer und aus großer Nähe aufgenommen worden sein. Das war ja krank, der war ja vollkommen besessen!
Sie suchte weiter in den Schubladen und fand zwei Höschen aus Seide. Sie legte sie angeekelt zurück und fand ein Notizbuch. Vorsichtig öffnete sie es. Es enthielt Verse in Lars’ unleserlicher Schrift. Sommerwiese … nach den tiefsten Quellen der Liebe dürstend … Dein schönes Haar, das in der Wärme über das Böse dieser Welt weht … Du und ich, Sophie, gegen die ganze Welt …
Der Computer war jetzt hochgefahren. Auf dem Bildschirm lagen zahlreiche Ordner, die mit Kalenderdaten beschriftet waren. Sie öffnete einen davon. Er enthielt Tonaufnahmen. Sie klickte die erste an, und die Geräusche erklangen aus dem Lautsprecher des Computers. Sara lauschte.
Weitere Kostenlose Bücher