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... und dann bist du tot

... und dann bist du tot

Titel: ... und dann bist du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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zu Tode gequetscht hatte. Es war das erste Mal, dass er einen Drachen in einem körperlichen Kampf getötet hatte. Die Erlösung und Erleichterung und Bestätigung waren überwältigend, und der Mann wusste, dass es ein Zeichen war.
    Ein wenig später, als er sich des toten Tieres entledigt hatte, legte er sich wieder hin, schloss die Augen und ließ zu, dass seine Gedanken zurück in die Vergangenheit wanderten. Zurück zum Tod seiner Mutter, zurück zur Qual und Demütigung, zurück zu den Tagen und Nächten der Freude und des süßen Schmerzes, zu ihren Händen und ihren Armen in ihrem großen Bett zu Hause und an ihrem eigenen besonderen Ort.
    Zuerst war es schwer gewesen, auf die Todesfälle zu warten, aber es war ja so spannend. Mutter hatte ihn in seiner ganzen Kindheit auf besondere Überraschungen warten lassen wie zum Beispiel damals, als sie seine geliebten Gewürzkekse in Buchstabenform gebacken hatte. Doch sie hatte verlangt, dass er aus den Keksen zwei Namen aus dem Ring des Nibelungen buchstabierte, ehe er den ersten in den Mund stecken durfte. Das hatte sich aufgrund der Köstlichkeit immer gelohnt, aber das Warten war so qualvoll gewesen.
    Mutter ließ ihn auch auf andere Vergnügen warten. Manchmal durfte er spät in der Nacht aufstehen, wenn sie von ihrem besonderen Ort nach Hause kam, und sie erlaubte ihm, ihr Haar zu bürsten, das so weich und seidig und golden war, oder das Bett mit ihr zu teilen. Und wenn sie ihm erst einmal erlaubt hatte, in ihr Bett zu kommen, ließ sie ihn eine Ewigkeit warten, bis sie anfing, seinen Rücken zu streicheln, über seine Schultern zu reiben und seine Brust und seinen Bauch zu tätscheln. Und dann tat sie das, was er am meisten liebte, und erzählte ihm Geschichten von Vater und seine liebsten Heldengeschichten aus vergangenen Zeiten.
    Sie war nicht immer lieb zu ihm gewesen. Ihre Arbeit hatte sie erschöpft, und wenn sie mit müden Knochen nach Hause kam, war sie oft aufbrausend. Dann bestrafte sie ihn mit ihren Zigaretten oder ihren Händen, doch diese Härte hatte die zärtlichen Momente für ihn noch wertvoller gemacht. Er hatte es nie geschafft zu widerstehen, sie nach ihrer Arbeit zu fragen, und seine Fragen hatten ihm oft einen Klaps oder Schlimmeres eingebracht. Manchmal hingegen, wenn sie mit ihm im Bett lag, hatte sie nachgegeben und ihm davon erzählt und es ihm auch gezeigt. In solchen Momenten schien das Zimmer, in dem sie lagen, fast zu verschwinden, da sich brandneue, faszinierende Geheimnisse entfalteten und alles für ihn ganz klar wurde.
    Mutter hatte ihn einmal mit an ihren besonderen Ort genommen und die Pracht hatte ihm Ehrfurcht eingeflößt. Die Kristallleuchter und die roten Samtvorhänge, die mit dicken, verzierten Kordeln gebunden waren; die Schlafzimmer mit ihren Baldachinen und ihren Deckenspiegeln und die seltsamen, unvergesslichen Gemälde und Wandteppiche, die die alten deutschen Sagen und Legenden darstellten, die Mutter so sehr zu einem Teil ihres Lebens gemacht hatte. Ein Gemälde, das Siegfried der Drachentöter hieß, hatte es ihm besonders angetan, und nachdem seine Mutter gestorben war und ihr besonderer Ort seine Türen für immer geschlossen hatte, war er vor der Versteigerung dorthin gegangen und hatte es so eingerichtet, dass einer der Kronleuchter und dieses Gemälde für ihn zur Seite gelegt wurden.
    Nun, da er genug Zeit hatte, erlaubte sich der Mann, mehr Stunden in der Vergangenheit zu verweilen als all die Jahre zuvor. In gewisser Hinsicht hatte er zu viel Zeit. Es machte das Warten schwerer und die Selbstbeherrschung noch wichtiger. Mit seinen schauspielerischen Fähigkeiten hatte er seiner Meinung nach in der Fabrik und in seiner Wohnung geglänzt. Der Lieutenant hatte ihn am Sonntagmorgen verlassen, ohne den geringsten Zweifel daran zu hegen, dass er ein kranker Mann war. Es war nicht allzu schwierig gewesen, die Grippe vorzutäuschen, nicht annähernd so anstrengend wie die Rolle, die er so viele Jahre gespielt hatte. Wenn er ganz ehrlich zu sich war, waren diese vergangenen zwei Wochen der größte Spaß, den er je erlebt hatte. Zuzusehen wie sie sich alle ebenso wanden und zappelten wie der kleine Gecko, den er vorhin in seiner Hand zerquetscht hatte. Es war eigentlich jammerschade, außerhalb des Zentrums des Geschehens zu sein, weg vom Mittelpunkt der Ermittlungen. Natürlich sicherer, aber weniger fesselnd.
    Er ging nun zweimal täglich in den Raum und blieb dort länger als bisher. Manchmal schaute er

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