Und taeglich grueßt die Evolution
der Studenten und Politiker, Hausfrauen und Wissenschaftler bat, sich am Computer über einen längeren Zeitraum mit komplexen Zusammenhängen zu beschäftigen. Mit Hilfe einer Computersimulation sollten die Probanden versuchen, die Lebenssituation der Moro in der Sahelzone Burkina Fasos zu verbessern.
Dort hungern die Menschen, weil das Vieh nicht genug Weideland findet. Also ließen die »Entwicklungshelfer« Brunnen bohren. Es entstanden neue Weiden und Äcker, mehr Vieh und Feldfrüchte beseitigen die Hungersnot. Nach 20 simulierten Jahren aber brach das gesamte Ökosystem zusammen, weil die Helfer übersehen hatten, dass der Grundwasserspiegel umso rascher sinkt, je mehr Wasser aus dem Untergrund gepumpt wird. Da es in der Sahelzone nur wenige Niederschläge gibt, versiegten die Brunnen über kurz oder lang und es trat genau die Katastrophe ein, die verhindert werden sollte. Obwohl dieses Ereignis abzusehen war, schaffte es kaum einer der Probanten, die Brunnen im Rollenspiel so zu nutzen, dass es zu einem Gleichgewicht kam. »Unser Hirn«, schließt Dietrich Dörner daraus, »ist einfach nicht darauf eingerichtet, komplexe Zusammenhänge genau zu erfassen.«
Komplexitätsreduktion durch Visualisierung
Um diese Unzulänglichkeiten zu umgehen, arbeiten Politiker und Wissenschaftler mit Grafiken und Diagrammen. Klimaforscher stellen auf diese Weise die Entwicklung der Temperaturen über Zeiträume dar, die weit über das menschliche Vorstellungsvermögen hinausgehen. Auf einem Blatt Papier mit den Daten der letzten 10000 Jahre kann auch ein Laie auf Anhieb erkennen, dass es in den letzten Jahren dramatische Veränderungen gibt. Seit dem Beginn der Industrialisierung schießen die Temperaturen in die Höhe; in den nächsten 100 Jahren erreichen sie möglicherweise Werte, die seit mehr als 1 Mio. Jahre auf dem Globus nicht mehr vorgekommen sind. Auch wenn ein Diagramm den Erdölverbrauch mit der Entdeckung neuer Erdölquellen vergleicht und die Ergebnisse in die Zukunft projiziert, ist auf Anhieb erkennbar, dass Benzin und Heizöl über kurz oder lang zur Mangelware werden und dass daher nachhaltige Alternativen dringend erforderlich sind.
Die Manipulation der Risikowahrnehmung
Die vor- und frühzeitliche Prägung des Gehirns lässt sich an einem Alltagsphänomen beobachten. Viele Menschen schätzen Risiken nach dem altbewährten Prinzip ein, dass ein Ereignis umso häufiger eintritt, je besser man sich daran erinnert. In der Steinzeit und sogar noch im Mittelalter funktionierte diese Faustregel gut. Die modernen Massenmedien aber verfälschen den Maßstab erheblich, weil sie anhaltend über spektakuläre Ereignisse berichten, ganz gleich wie oft und wo sie geschehen. Mord und Totschlag, Naturkatastrophen oder Epidemien graben sich tief ins Gedächtnis ein und werden daher als hohes Risiko eingestuft. Tatsächlich aber sterben die Menschen in den Industrienationen viel häufiger an den Folgen eines ungesunden Lebenswandels mit Stress, falscher Ernährung, Zigaretten und wenig Bewegung.
Ähnlich verhält es sich bei den Verkehrsmitteln. Obwohl das Risiko eines Flugzeugabsturzes erheblich geringer ist als die Gefahr eines tödlichen Autounfalls, ängstigen sich viele Menschen mehr vor dem Flug als vor der täglichen Autofahrt. Tatsächlich berichtet das Fernsehen nur selten über den Tod auf der Straße, während jeder Flugzeugabsturz in die Abendnachrichten kommt. Offensichtlich fällt den Medien also eine Schlüsselrolle zu, wenn die Bevölkerung sich eine Meinung zu den Risiken der Kerntechnik oder der Gentechnik bildet.
Katastrophen und Einschaltquoten
Manchmal ist es auch die Sehnsucht nach Sinn, die zu einer falschen Risiko-Einschätzung führt. Bekommt eine Frau nacheinander einen Jungen, zwei Mädchen, wieder einen Jungen, noch ein Mädchen und erneut einen Jungen, hält jeder die Reihenfolge für zufällig. Kommen dagegen erst drei Mädchen und dann drei Jungen zur Welt, rätseln die Verwandten, welche Erbeigenschaften eine Rolle gespielt haben mögen. Weil das Geschlecht eines Kindes aber vom Geschlecht seiner älteren Geschwister unabhängig ist, treten solche Muster vollkommen zufällig auf.
In der Welt der modernen Massenmedien sind es nicht selten die Journalisten, die ahnungsvoll nach einem Sinn in solchen Mustern suchen. Im Fernsehen gibt es inzwischen kaum eine Sportsendung mehr, die darauf verzichten würde, vor der Begegnung zweier Fußballvereine sämtliche Archive nach vermeintlichen
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