Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und wenn wir fliehen (German Edition)

Und wenn wir fliehen (German Edition)

Titel: Und wenn wir fliehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
Vom Netzwerk:
stand offen, dahinter nichts als Dunkelheit. Niemand zu Hause.
    »Ich fahre den Wagen hinters Haus, damit ihn von der Straße aus keiner sieht«, sagte Gav. Als er angehalten hatte, stiegen wir alle aus, Tobias mit dem Gewehr in der Hand, das er der toten Frau abgenommen hatte. Ein eisiger Wind wehte mir ins Gesicht. Ich zog den Schal höher. Die Wärme aus dem Inneren des Lieferwagens begann bereits, sich aus meinen Gliedern zu verflüchtigen.
    Gav und Leo schalteten ihre Taschenlampen ein, und ich versuchte, möglichst nicht an die Leute zu denken, die sie zuletzt in Händen hielten. Gavs Lichtstrahl musste kurz mein Gesicht erfasst haben, denn er blieb stehen, während die anderen nach hinten gingen, um unsere Vorräte auszuladen. Er ließ die Taschenlampe sinken und berührte mich mit seiner freien Hand am Arm.
    »Hey«, sagte er leise. »Wie geht’s dir?« Die Fahrt schien ihm gutgetan zu haben. Er wirkte entspannter, als ich ihn in den letzten Tagen erlebt hatte.
    »Mir geht’s gut«, antwortete ich. »Bloß, na ja, ein bisschen nervös.« Ich musste gähnen. »Und müde.«
    »Wir könnten hier ein paar Stunden pennen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann kein Auge zutun, solange wir nicht von diesem Lieferwagen weg sind. Lass uns wenigstens ein paar Kilometer zwischen uns und dieses Ding legen.«
    »Ich denke, das kriegen wir hin.« Er beugte sich vor, um mich zu küssen und zog mich an sich. Ich erwiderte seine Umarmung und presste die Augen zu, um meine plötzlich aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Ich hatte gar nicht gewusst, wie sehr ich jemanden brauchte, der mir etwas von meiner Last abnahm, wenigstens einen Moment lang.
    »Meint ihr, es ist noch ein bisschen Benzin im Tank?«, fragte Tobias, als wir uns wieder losließen. Er hielt die leeren Kanister in die Höhe.
    »Möglich, dass wir einen oder zwei davon vollkriegen«, erwiderte Gav. »Wäre nicht schlecht, ein bisschen was bei uns zu haben.«
    Als er den Tankdeckel losschraubte, drehte ich mich zu dem dunkel aufragenden Gebäude um. Vielleicht war es ja gar nicht völlig verlassen.
    »Ich werfe mal einen Blick ins Haus, während ihr hiermit beschäftigt seid«, sagte ich. »Und seh mal nach, ob es da irgendwas Essbares gibt.«
    »Gute Idee«, antwortete Gav.
    »Ich komme mit, Kae«, sagte Leo. »Ist besser, wenn im Moment keiner von uns irgendwo alleine hingeht.«
    Gav sagte nichts, er sah Leo nur an und wandte sich dann wieder dem Lieferwagen zu. Ich folgte dem Strahl von Leos Taschenlampe auf die Veranda. Als das Licht in den Hausflur fiel, streifte es eine Reihe schmutziger Stiefelabdrücke, die auf dem Holzfußboden entlangführten.
    »Sieht aus, als wäre hier schon jemand vor uns gewesen«, stellte ich fest.
    Wir durchsuchten rasch die Küche, fanden aber nur ein wenig Geschirr in den Schränken. Auf dem Weg ins obere Stockwerk knarrten die Treppenstufen.
    Es schien, als hätte jemand die Decken von den Betten entfernt, aber die Laken des Ehebetts und der beiden Einzelbetten im zweiten Schlafzimmer waren noch fest aufgezogen. Der Stoff leuchtete hell, als Leo den Lichtstrahl der Taschenlampe darübergleiten ließ. Ich hielt inne und dachte an unsere dunklen Jacken und wie wir mit ihnen durch den Schnee liefen.
    »Wir sollten die mitnehmen«, sagte ich und strich mit den Fingern über den Stoff. »Wir können sie zur Tarnung um unsere Jacken wickeln. Dann sind wir aus der Entfernung schwerer zu erkennen.«
    »Genau wie Polarfüchse«, erwiderte Leo. Als ich die Brauen hochzog, hob er die Hand. »Hey, du warst doch diejenige, die mir jede Einzelheit über die Viecher eingetrichtert hat, als du die verrückte Idee hattest, eins davon als Haustier zu halten! Ich hab eben ein gutes Gedächtnis.«
    Ein Grinsen huschte über mein Gesicht, und seine Lippen verzogen sich zu einem winzigen Lächeln.
    In diesem Augenblick sah er wieder aus wie der alte Leo. Ein Anflug von Wärme durchströmte meine Brust: ein Sog zu ihm hin, eine kurze Erinnerung daran, wie seine Lippen meine streiften.
    Ich hatte den Kuss nicht vergessen, ebenso wenig wie das Gefühl, das er in mir ausgelöst hatte. Na ja, das würde ich wahrscheinlich nie tun. Doch nach unserem Gespräch in der Künstlerkolonie schienen wir irgendwie mehr im Reinen miteinander, so als wüssten wir nun beide, wo wir standen. Deshalb war es jetzt leichter, tief Luft zu holen und das Gefühl beiseitezuschieben.
    »Ich dachte wirklich, das würde gehen«, antwortete ich und zog das Laken ab.

Weitere Kostenlose Bücher