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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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voneinander tragen. Sie hatten ihre Tochter Nicola gemeinsam gezeugt, und sie würden sie gemeinsam begraben. Warum sollte da jeder für sich allein trauern?
    »Wir sind alle allein, Inspector«, hatte Barbara Havers einmal anläßlich eines ähnlichen Falls zu ihm gesagt. Auch damals hatte ein Elternpaar den Tod seines Kindes betrauern müssen. »Glauben Sie mir, alles andere ist nichts weiter als eine Illusion.«
    Aber er wollte jetzt nicht an Barbara Havers denken, an ihre Klugheit oder ihren Mangel daran. Er wollte etwas tun, um den Maidens wenigstens ein gewisses Maß an Frieden zu geben. Er sagte sich, daß er zumindest soviel schuldig war – nicht nur zwei Menschen, deren besonderes Leid er niemals am eigenen Leib zu erfahren hoffte, sondern auch einem ehemaligen Kollegen, dem Beamte wie er, Lynley, viel zu verdanken hatten. Zugleich aber mußte er zugeben, daß seinem Bedürfnis, ihnen zu innerem Frieden zu verhelfen, der Wunsch zugrunde lag, sich selbst vor künftigem Kummer zu schützen; die Hoffnung, daß ihm, wenn er jetzt ihren Schmerz linderte, ein ähnlicher Schicksalsschlag in seinem Leben erspart bleiben würde.
    An der Tatsache von Nicolas Tod sowie daran, daß sie vor ihren Eltern Geheimnisse gehabt hatte, konnte er nichts ändern. Aber er konnte versuchen, jene Aussagen zu widerlegen, die allmählich nach Schwindel auszusehen begannen; die mit scheinbar treuherziger Offenheit präsentiert, in Wirklichkeit erfunden waren, aus der Not des Augenblicks geboren.
    Will Upman war derjenige, der von einem Pager und einem Londoner Liebhaber gesprochen hatte. War ihm, der selbst an Nicola Maiden interessiert gewesen war, nicht durchaus zuzutrauen, daß er beides – die Anrufe über den Pager und den Londoner Liebhaber – nur erfunden hatte, um die Aufmerksamkeit der Polizei von sich selbst abzulenken? Er konnte der mysteriöse Liebhaber gewesen sein, der die Frau, der seine Leidenschaft gegolten hatte, mit Geschenken überschüttet hatte. Und als er erfahren hatte, daß sie die Juristerei aufgeben, Derbyshire verlassen und sich in London ein eigenes Leben aufbauen wollte, daß er sie also auf immer verlieren würde, wie mochte er da wohl reagiert haben? Sie wußten ja aus den Ansichtskarten, die Nicola ihrer Wohnungsgenossin geschickt hatte, daß sie neben Julian Britton einen weiteren Liebhaber gehabt hatte. Und sie hätte es wohl kaum für nötig gehalten, eine Nachricht zu verschlüsseln – geschweige denn, sich an so ausgefallenen Orten zu verabreden, wie die Postkarten sie zeigten –, wenn sie nicht geglaubt hätte, die Beziehung geheimhalten zu müssen.
    Die nächste Frage war, welchen Platz Nicola Maiden in Julian Brittons Leben eingenommen hatte. Wenn er sie wirklich geliebt hatte und entschlossen gewesen war, sie zu heiraten, wie hätte er dann auf die Entdeckung reagiert, daß sie eine Beziehung zu einem anderen Mann hatte? Es war durchaus möglich, daß Nicola ihm über jene Beziehung reinen Wein eingeschenkt hatte, um ihre Weigerung, ihn zu heiraten, unter anderem auch damit zu begründen. Wenn das der Fall war, was für Gedanken hatten sich dann bei Julian Britton eingenistet und wohin hatten sie ihn in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch geführt?
    Irgendwo wurde eine Haustür geschlossen. Kies knirschte, und eine Gestalt kam um das Haus herum. Es war ein Mann, der ein Fahrrad schob. Im Lichtschein eines der Fenster hielt er an. Mit dem Fuß klappte er den Ständer herunter und nahm aus seiner Tasche ein kleines Werkzeug, mit dem er sich an den Radspeichen zu schaffen machte.
    Lynley erkannte ihn vom vergangenen Nachmittag wieder, als er den Mann vom Salonfenster aus mit seinem Fahrrad hatte davonfahren sehen, während er und Hanken auf die Maidens gewartet hatten. Zweifellos war er einer der Angestellten. Während Lynley beobachtete, wie er mit in die Augen fallendem Haar neben seinem Fahrrad kauerte, sah er, wie plötzlich die Hand des Mannes abrutschte und sich zwischen den Speichen verfing. Im selben Moment hörte er ihn wütend rufen: »Merde! Saloperie de bécane! Je sais pas ce qui me retient de t ’envoyer à la casse.« Er sprang auf, die Fingerknöchel an den Mund gedrückt, und benutzte sein Sweatshirt, um sich das Blut abzuwischen.
    Als Lynley ihn fluchen hörte, funkte es plötzlich bei ihm. Blitzartig verwarf er seine früheren Überlegungen und Mutmaßungen, als er erkannte, daß Nicola Maidens Postkarten an ihre Wohnungsgenossin nicht nur ein Scherz gewesen waren. Sie

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