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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ihm auf dieser Welt noch etwas bedeutete, mit ansehen zu müssen.
    »Wir machen es gleich morgen«, sagte Hanken, faltete die Karte und ergriff die Tüte mit ihrem belastenden Inhalt. »Ich bring das hier ins Labor. Und Sie sehen zu, daß Sie ein bißchen schlafen.«
    Eine Anordnung, die ich wohl kaum befolgen kann, dachte Lynley.
    Auch Lynleys Frau schlief unruhig in dieser Nacht und erwachte am nächsten Morgen in nachdenklicher Stimmung. Unruhiger Schlaf war für Helen etwas völlig Ungewohntes. Im allgemeinen versank sie, sobald sie ihren Kopf aufs Kissen legte, in einen Zustand, der Bewußtlosigkeit glich, und blieb bis zum Morgen in diesem Zustand. Aus diesem Grund nahm Helen die Tatsache, daß sie so schlecht geschlafen hatte, als einen klaren Hinweis darauf, daß irgend etwas sie quälte, und sie brauchte keine tiefschürfende Seelenerforschung vorzunehmen, um herauszubekommen, was das war.
    Tommys Reaktionen in bezug auf Barbara Havers und seine Art, mit ihr umzugehen, irritierten sie seit Tagen wie ein winziger Splitter, der sich unter ihre Haut geschoben und eine kleine Entzündung hervorgerufen hatte; etwas, das sie im gewohnten Alltagstrott ignorieren konnte, das aber quälend und schmerzhaft wurde, wenn es ihr zu Bewußtsein kam. Und bei dem letzten Zusammenstoß ihres Mannes mit Barbara war es ihr mehr als deutlich bewußt geworden.
    Helen hatte Verständnis für Tommys Position: Er hatte Barbara eine Reihe von Anweisungen erteilt, und Barbara hatte sich bei ihrer Ausführung alles andere als kooperativ gezeigt. Tommy hatte dies als eine Bewährungsprobe angesehen, die seine ehemalige Mitarbeiterin nicht bestanden hatte; Barbara hatte es als ungerechte Bestrafung betrachtet. Keiner von beiden war bereit, den Standpunkt des anderen anzuerkennen, und Barbara stand mit ihren Argumenten, wenn sie ihre Auffassung zu verteidigen versuchte, auf recht unsicherem Boden. Es fiel Helen deshalb nicht schwer einzuräumen, daß Tommys letzte Reaktion auf Barbaras Widersetzlichkeit gerechtfertigt war, und sie wußte, daß seine Vorgesetzten die Maßnahme, die er ergriffen hatte, billigen würden.
    Aber ebendiese Maßnahme – im Zusammenhang mit seiner früheren Entscheidung gesehen, mit Winston Nkata zu arbeiten und nicht mit Barbara Havers – gab Helen zu denken. Was, überlegte sie, als sie aufstand und ihren Morgenrock überzog, steckte wirklich hinter der Aufgebrachtheit ihres Mannes gegen Barbara: die Tatsache, daß sie sich ihm widersetzt hatte, oder die Tatsache, daß sie eine Frau war, die sich ihm widersetzt hatte? Helen hatte ihm genau diese Frage ihn leicht abgewandelter Form bereits vor seiner Abreise am vergangenen Tag gestellt, und wenig überraschend hatte er sofort wütend behauptet, das Geschlecht habe mit seinem Verhalten gegen Barbara überhaupt nichts zu tun. Aber war es nicht so, daß Tommys ganze persönliche Geschichte eine solche Behauptung widerlegte?
    Während Helen sich das Gesicht wusch und sich mit der Bürste durch ihr Haar fuhr, dachte sie über die Frage nach. Immer hatten in Tommys Vergangenheit Frauen eine große Rolle gespielt: Frauen, die er begehrt hatte; Frauen, mit denen er liiert gewesen war; Frauen, mit denen er zusammengearbeitet hatte. Seine erste Geliebte war die Mutter eines Schulfreunds gewesen, die stürmische Affäre hatte sich über mehr als ein Jahr hingezogen, und vor seiner Beziehung zu Helen hatte seine tiefste Liebe einer Frau gehört, die jetzt mit seinem engsten Freund verheiratet war. Abgesehen von dieser Bindung war, soweit Helen sehen konnte, allen seinen Beziehungen eines gemeinsam gewesen: Tommy hatte den Kurs bestimmt. Die Frauen waren ihm bereitwillig gefolgt.
    Es war ihm ein leichtes gewesen, die Führung zu übernehmen und zu behalten. Zahllose Frauen im Laufe der Jahre waren so geblendet gewesen von seinem Aussehen, seinem Titel oder Reichtum, daß es ihnen in Anbetracht dessen, was sie sich im Austausch dafür erhofften, nicht schwergefallen war, sich ihm nicht nur körperlich, sondern auch geistig zu unterwerfen. Und Tommy hatte sich an diese Macht gewöhnt. Wem wäre das nicht so ergangen?
    Die Grundfrage war, weshalb er bei jenem allerersten Mal mit jener allerersten Frau die Macht ergriffen hatte. Er war jung gewesen, gewiß, aber obwohl er sich dafür hätte entscheiden können, dieser Frau und jeder anderen nach ihr auf gleicher Ebene zu begegnen, selbst wenn die Frau das vielleicht gar nicht gewollt oder gefordert hätte, hatte er es nicht

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