Ungezaehmte Leidenschaft
kann.«
Sie fuhr behutsam ihre Sinne hoch. Schatten regten sich in den Spiegeln. Ihr Puls schlug höher.
»Was siehst du?«, fragte Owen.
Virginia hielt ihre Nerven mit festem Griff, trieb auf der Energiewoge höher und öffnete sich noch mehr. Die grässlichen Nachbilder erschienen wie bewegte Fotografien tief im Spiegel.
»Ich sehe die Opfer«, flüsterte sie. »Es sind sehr viele, alle in Beckys Alter. Manche Nachbilder sind verblasst. Hollister hat mit den Morden schon vor Jahren begonnen.«
Owen beobachtete sie im Spiegel.
»Virginia«, sagte er. »Ist alles in Ordnung?«
Sie konnte nicht antworten. Die grausigen Bilder verwandelten den Raum in eine Schreckenskammer. Gespenstische Gestalten streckten mit stummen Schreien die Arme nach ihr aus, als wollten sie sie in ihr dunkles Universum hinter den Spiegeln zerren.
Owens Stimme drang wie aus der Ferne zu ihr.
»Virginia, sag mir, wenn du es nicht schaffst.«
Zorn durchzuckte sie. Sie würde nicht zulassen, dass das Ungeheuer, das diesen Raum geschaffen hatte, den Sieg davontrug. Sie musste viel Kraft aufwenden, um die Kontrolle zu behalten.
Und sie behielt sie. Die Nachbilder in den Spiegeln versanken wieder im Glas. Sie waren noch sichtbar, bedrängten aber nicht mehr ihre Sinne.
»Schon gut«, brachte sie heraus. »Es war nur der erste Schock. Ich dachte, ich wäre darauf vorbereitet, wusste aber nicht, wie viele Bilder in diesen Spiegeln eingefangen sind. Hollister war wirklich ein Ungeheuer.«
»Ich bedaure, dass er nicht in einem früheren Stadium seiner Laufbahn das Interesse meiner Familie weckte«, sagte Owen voller Ingrimm. »Das ist das Problem bei diesen Scheusalen. Es fällt ihnen leicht, sich zu verbergen, zumal in einer so großen Stadt wie London. Jones & Jones wird uns in Zukunft bei der Jagd vielleicht helfen können.«
»Möglich.«
»Du hast nicht viel Zutrauen zu J&J?«
»Nein.«
»Ich darf dir in Erinnerung rufen, dass es Caleb Jones war, der spürte, dass hinter den Morden an Ratford und Hackett paranormale Kräfte stecken könnten. Außerdem beauftragte er mich, den Killer zu jagen, obwohl keines der Opfer Mitglied der Arcane Society war.«
Sie verzog das Gesicht. »Na schön, ich gebe zu, dass diese neue Agentur an der Untersuchung psychischer Morde außerhalb der Society interessiert ist. Damit ist die Tatsache allerdings nicht aus der Welt geschafft, dass Arcane Menschen wie mich nicht billigt und es nie tun wird. Aber das ist jetzt unwichtig. In diesen Spiegeln ist noch etwas anderes zu sehen.«
»Außer den Nachbildern?«
»Ja. In den Tiefen brennen schwache Flammen, ähnlich denen im Spiegel auf Mrs. Ratfords Frisiertisch.«
»Bist du sicher?«
»Ja. Das Feuer ist nicht so stark, doch wahrnehmbar. Ich glaube, dass die kuriosen Automaten nach ihren Mordtaten nicht nur Nachbilder im Glas speichern, sondern auch Energie.«
»Das Feuer in Mrs. Ratfords Spiegel ist stärker, meinst du? Warum? In diesem Raum starben doch mehr Menschen.«
»Ja, aber sie waren keine Spiegellicht-Talente. Mrs. Ratford war eines. Ich glaube, das macht den Unterschied aus.«
»Dieser Schurke«, sagte Owen leise. »Deshalb konzentriert er sich nun auf Opfer, die Spiegel deuten.«
»Ja, ich denke schon. Sie liefern mehr von jener Energie, die er in den Spiegeln speichern möchte.«
»Und warum möchte er das Feuer im Glas speichern?«, fragte Owen.
»Das weiß ich nicht.«
»Gibt es eine Möglichkeit, die Flammen freizusetzen?«
»Die Energie scheint sich im Ruhezustand zu befinden. Ich bin nicht sicher, ob ich sie entzünden könnte. Aber selbst wenn es möglich wäre, halte ich es für keine gute Idee. Man kann nicht voraussagen, was geschieht, wenn ich versuchen würde, die Energie aus dem Spiegel zu extrahieren.«
»Genug davon.« Er drängte sie zur Tür. »Unsere Antworten haben wir. Ich glaube, wir waren jetzt lange genug in dieser Hölle.«
18
Der Jäger in ihm ahnte, dass er sich seinem Beutestück näherte. Er hätte eigentlich den eiskalten Energieschub spüren müssen, der ihn gegen Ende der Jagd immer überfiel. Aber aus irgendeinem Grund wurde er von einer Empfindung verzehrt, die ihm verriet, dass mindestens eine Tür noch nicht geöffnet worden war.
»Owen?« Virginia spürte seine Unruhe. »Owen, ist etwas?«
Er lief so eilig durch den steinernen Gang, dass sie ihre Röcke schürzen musste, um mit ihm Schritt halten zu können.
»Entschuldige«, murmelte er und zwang sich, sein Tempo zu reduzieren. »Ich
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