Unglaubliche Reise des Smithy Ide
hinunter in die Einfahrt. Sowie sie auf dem Boden stand, rollte sie schnell davon.
»Es tut mir Leid«, sagte sie.
»Nein, ich … ich hab nicht …«
»Post liegt auf dem Tisch.« Dann war sie weg.
Es war ein warmer Abend, nicht ungewöhnlich für Ende August, und als ich wieder auf die Veranda ging und Pops Radio ausschaltete, waren die Grillen schon bei der Arbeit. Ich zündete mir eine Zigarette an, griff mir ein paar Bier aus dem Kühlschrank und trank. Eine Stunde später war ich ziemlich wacklig, aber ich schaffte es doch noch hinunter in den Keller, um den Wodka in die Küche heraufzuholen und mir einen großen Screwdriver zu machen. Dann fiel mir die Post ein.
Als Erwachsener lese ich nicht mehr gern. Irgendwas ist heute damit. Aber in diesem Haus hatte ich fast jeden Abend gelesen, bis ich einschlief, und schnell außerdem. Gute Bücher, die ich nicht gern zu Ende brachte, weil sie mich in ihr Leben holten und aus meinem aussteigen ließen, eine Zeit lang jedenfalls. Damals dachte ich nach über das, was ich las, aber heutzutage lese ich immer wieder dieselbe Seite, und dazu kommt natürlich das Bier. Manchmal vermisse ich das Lesen, aber als Erwachsener tue ich es trotzdem nicht.
Deshalb kriege ich auch keine Zeitschriften oder so was mit der Post. Nur ein paar Rechnungen, weiter nichts. Aber Mom und Pop liebten Zeitschriften. Sie hatten Time abonniert, U.S. News & World Report, Sports Illustrated, Field & Stream, National Geographic, Sporting News und das Red Sox Quarterly, wo nicht nur Porträts der Spieler drinstanden, sondern auch ihre Lieblingsrezepte und Originalgedichte von ihnen. In dem Poststapel, den Norma abgeliefert hatte, waren zwei Zeitschriften. Ich nahm sie heraus und legte sie säuberlich auf eine Ecke des Küchentischs. Als Nächstes legte ich die Rechnungen auf einen Stapel, und dann die Briefe, die persönlich aussahen. Der größte Teil war aber Reklame, und die warf ich weg.
Sollte man nicht meinen, dass es so etwas wie ein »Das war’s« gibt, wenn jemand stirbt? Ich finde schon. Ich finde, wenn jemand stirbt, sollte es einen Vorgang geben, bei dem alles, was mit ihm zusammenhängt – also Rechnungen, Steuer und so weiter -, aufhört. Aber es wird nicht mal langsamer. Tatsächlich scheint es sogar schneller und lauter zu werden. In dem Rechnungsstapel meiner Eltern fand ich American Express, zwei Telefonrechnungen, Mobil-Gas, Wood’s Heating and Oil, Visa, eine Reiseversicherungsrechnung und einen Spendenaufruf von der Lebensrettungsgesellschaft East Providence. Es hört nicht auf, wenn man stirbt.
Tante Paula hatte einen Termin mit einem Anwalt gemacht, den sie kannte und der mir helfen würde, ihren »Nachlass« zu ordnen. Es gefällt mir, dass das, was sie hatten, »Nachlass« heißt. Mom wäre besonders entzückt gewesen. Der Anwalt würde mir sagen, wie ich dafür sorgen konnte, dass die Rechnungen und das ganze Zeug aufhörten, weil Mom und Pop nicht mehr da waren; also wickelte ich ein Gummiband um die Rechnungen und würde sie ihm nach der Arbeit am Dienstag geben, wer immer er sein würde. Damit blieben nur noch die Briefe, die persönlich aussahen. Zwei waren von Freunden von Mom, die mit der Kirchengemeinde eine Reise nach England machten, einer von Pops Baseballclub und einer von der Gesundheitsbehörde von Los Angeles. Das war der einzige, den ich aufmachte. Ich wusste, dass es in dem Brief vom Baseballclub um seine Bemühungen ging, Roger Clemens für die Seniorenmannschaft zu gewinnen, und die Briefe an Mom wollte ich nicht lesen. Den amtlich aussehenden aus Los Angeles öffnete ich. Er war an Pop adressiert.
In Beantwortung Ihres Schreibens vom 26. Juli müssen wir Ihnen zu unserem Bedauern mitteilen, dass Bethany Ide, 51, an den Folgen einer Unterkühlung verstorben ist. Das Todesdatum war der 4. Juni, und seitdem befindet sich die Verstorbene im Leichenschauhaus Los Angeles West. Ms. Ides zahnärztliche Unterlagen, die Sie Ihrer Anfrage beigefügt haben, waren für das Identifikationsverfahren eine große Hilfe.
Eine Sekunde lang verspürte ich Atemnot oder Atemstillstand, und dieses unheimliche Gefühl der Panik wuchs aus meiner Brust und umhüllte mich ganz. Ich stand vom Küchentisch auf und ging hinaus auf die Veranda, wo Luft war. Ich fand und atmete sie. Dann kehrte ich zurück in die Küche und zu dem Brief aus Los Angeles. Ich las den ersten Teil noch einmal, aber ich war zu betrunken, um ihn zu Ende zu lesen; also faltete ich den Brief
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