Unglaubliche Reise des Smithy Ide
ein rundes Gesicht, und sie hatte schwarze Augen; zumindest sahen sie durch die Tränen schwarz aus. Außerdem hatte sie langes, glattes schwarzes Haar. Busenfans, schätze ich, bemerken keine Details. An dem Tag bemerkte ich zum ersten Mal auch Details.
»Ich muss jetzt gehen. Ich muss zu Fuß nach Hause. Billy sollte mich fahren, aber jetzt ist er …«
Sie warf den Kopf in den Nacken und gab ein letztes Schluchzen /Stöhnen von sich. Ich rechnete damit, dass die rote Bluse gleich zerreißen würde. Aber sie tat es nicht.
Wir gingen durch die Tür des Musiksaals hinaus in den Korridor.
»Weißt du, ich gehe zu meinem Junior-Ball.«
»Ich weiß.«
»Ich gehe allein. Ohne jemanden.«
»Warum?«
»Ich will es so.«
»Oh … okay.«
Das war nicht gut, und ich war blöd. Wir kamen zu der Tür zum Platz. Ich musste hinaus, und Jill Fisher schleppte ihren Busen die Treppe hinauf.
»Du willst wahrscheinlich nicht mitkommen. Es würde dir nicht gefallen. Du würdest da kaum gern hingehen.«
»Wohin?«
»Zu meinem Junior-Ball.«
»Ich bin Sophomore.«
»Das meine ich ja.«
»Ich müsste mit einem Junior hingehen oder ich könnte gar nicht.«
»Genau. Ein Junior müsste dich einladen, und du würdest wahrscheinlich Nein sagen.«
»Wahrscheinlich.«
»Zum Beispiel, wenn ich sagen würde: ›Gehst du mit mir zu meinem Junior-Ball?‹ – was würdest du dann sagen?«
»Was ich sagen würde?«
»Ja.«
»Okay.«
»Was?«
»Ich komme mit.«
So ging es mir im Musiksaal, wie es mir fast immer ging. Es passierte einfach. Ich war im Grunde eine Billardkugel, die von allem und jedem abprallte. Und auch wenn zu meinem Leben als Junge kein spezieller Plan und kein logischer Handlungsablauf gehörte, war es doch meine eigene kleine Art, zur Welt zu gehören. Ein Teil des Ganzen zu sein. Aber heute passiert gar nichts mehr. Ich bin nicht mehr auf dem Billardtisch. Nicht wegen irgendwelcher Verletzungen oder wegen Bethany, eigentlich wegen gar nichts. Fernsehen, Bier, Brezel – das war eben einfacher. Man schaltet die Glotze ein, man trinkt ein erfrischendes Lager, man macht es sich bequem und raucht eine – wer muss da noch nachdenken?
Zwei Wochen lang sprach ich nicht mit Jill. Dann steckt mir eines Tages ein Mädchen in der Englischstunde einen Zettel mit Jills Telefonnummer zu; ich soll sie anrufen, steht da. An diesem Abend telefoniere ich zum ersten Mal im Leben mit einem Mädchen.
»Bist du sauer auf mich oder was?«, fragte sie irgendwie genervt.
»Nein.«
»Was ist dann los? Gehen wir zum Ball?«
»Ja klar.«
»Aber der ist in zwei Wochen.«
»Ich weiß.«
»Ja, mein Gott! Welche Farbe hat denn dein Kummerbund?«
»Mein Kummer – was?«
»O Gott!«
»Ich meine …«
»Hör zu, ein Kummerbund ist eine Art breiter Gürtel, den man zum Smoking trägt. So was gibt’s in verschiedenen Farben. Meistens haben Kummerbund und Schleife die gleiche Farbe. Ich möchte, dass du Lila nimmst.«
»Okay.«
»Und … hast du was zum Schreiben?«
»Äh … ja.«
»Okay, schreib auf. Ein gelbes Anstecksträußchen mit ein paar Lilien drin. Hört sich das nicht perfekt an? Ich bin so aufgeregt. Wie heißt du?«
»Smithy Ide.«
»Smithy. Okay. Kannst du fahren?«
»Ich hab einen Führerschein.«
»Okay. Ruf mich morgen Abend um die gleiche Zeit an.«
»Okay.«
»Bye.«
»Bye.«
Das hörte sich vielleicht nicht weltbewegend an, aber es war ein fabelhaftes erstes Telefongespräch mit einem Mädchen. Ich ging hinunter in die Küche und überlegte, ob eine Schale Müsli in Frage käme, aber ich war nie hungrig, und ich hatte auch an diesem Abend keinen Hunger. Bethany kam in Bademantel und Pantoffeln in die Küche und machte sich ein Sandwich mit Mortadella und Käse und einen Milchkaffee.
»Du auch, Hook?« Sie gähnte.
»Nein danke.«
Sie machte sich das Sandwich, legte Mayonnaise und Käse und Wurst wieder in den Kühlschrank und setzte sich zu mir an den Tisch. Sie sah ein bisschen verlottert aus.
»Ich fühl mich fies«, sagte sie kauend. »Ich hab die Tabletten nicht mehr genommen und bin jetzt so feucht klebrig.«
»Du darfst mit den Tabletten nicht aufhören. Komm, Bethany. Die tun dir gut.«
Sie sah mich an und biss in ihr Sandwich, ohne wegzuschauen.
»Komm schon«, sagte ich.
»Ganz oft, Hook, nicht immer, aber ganz oft kannst du ein echter Schwanzlutscher sein.«
Ich konnte es nicht ausstehen, wenn sie so redete. Manchmal konnte sie solche Ausdrücke benutzen, dass ich mich wirklich
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