Unglaubliche Reise des Smithy Ide
Manchmal, wenn ich Bethany auf einem Feld oder in einer Wolke sehe, sehe ich jetzt auch Mom und Pop. Pop hat immer seine Baseballkluft an. Und er hat immer seine Baseballmütze auf.
»Da … ist auch noch meine Bibliothek. Ich nenne es meine Bibliothek. Ich habe eine ganze Wand mit Büchern. Nachschlagewerke, Romane … und dann mein großes altes Messingbett. Essteht auf der Ecke des Teppichs, neben dem Bücherregal. Ein großes Bett, aus dem Jahr 1844. Ich habe es auf einer Nachlassversteigerung in Barrington gekauft.«
Meine Kopfschmerzen gingen nicht weg, und jetzt tat mir auch das Ohr weh, das rechte Ohr. Aber Norma zuzuhören, wie sie ihr trockenes, hübsches Zimmer beschrieb, war besser als Aspirin.
»Wenn du hier wärest, würde ich dich ins Bett bringen und dich die ganze Nacht warm halten. Ich würde dich einfach im Arm halten und im Arm halten, und du könntest …«
»Ich könnte dich auch im Arm halten, Norma.«
Irgendwo in der Mitte zwischen Missouri und East Providence, Rhode Island, waren unsere Worte. Und die Worte hingen an der Telefonleitung wie weiche Pyjamas. Und wir auch, trotz des Regens.
Nach einer Weile sagte Norma: »Bau dein Zelt auf.«
»Okay.«
»Versprochen?«
»Okay.«
»Okay … Geh und tu es gleich, damit du aus dem Regen kommst.«
»Okay … Bye, Norma.«
Ich schlug mein Zelt neben dem Picknicktisch auf. Meinen nassen Schlafsack benutzte ich nur als Kopfkissen, aber ich konnte ein bisschen schlafen. Als ich aufwachte, schien die Sonne, und ich breitete alle meine Sachen zum Trocknen auf dem Picknicktisch aus. Ich aß das Obst, das ich noch hatte – zwei Bananen und eine Birne -, ging zur Toilette und wartete, bis meine Sachen getrocknet waren. Ich las mein Buch, Ringo. Mein Ohr tat nicht mehr weh.
42
I ch stoße die Leute ab. Das muss wohl so sein. Als ich aus dem Militärkrankenhaus in Denver nach Hause kam, wurde mir klar, dass es in East Providence niemanden in meinem Alter gab, mit dem ich befreundet war. Natürlich kannte ich ein paar Leute, denen ich zunickte, wenn ich sie im Stop&Shop oder im Drugstore traf, aber was Leute angeht, die ich, sagen wir, abends anrufen oder mit denen ich ins Kino gehen konnte … solche Leute hatte ich nicht. Das ist sehr typisch für New England, dass man allein ist, auch wenn man es nicht sein möchte. Ich schätze, es beweist, dass man über der Einsamkeit steht und auf Freundschaften nicht angewiesen ist. Ich war also ein Einzelgänger, der nicht allein sein wollte. Darüber habe ich immer wieder nachgedacht, und inzwischen glaube ich, dass es eine Menge einsame Einzelgänger gibt. Wir verstehen einfach nichts von den Vorgängen des Freundschaftschließens. Vom komplizierten Einrichten einer Freundschaft. Das ist nicht einfach.
Ich verbrachte eine Menge Zeit mit Mom und Pop im Bradley Hospital. Bethany machte einfach nicht die Fortschritte, die sie sonst immer gemacht hatte. Sie reagierte auf nichts, und zum ersten Mal machte die Stimme kein Hehl aus ihrer Anwesenheit. Sie war da, fordernd, laut und furchtbar. Sie kreischte uns an, wenn wir mit Bethany allein waren. Sie beschimpfte uns mit schrecklichen Ausdrücken, eine Stimme wie eine trockene, rissige Wüste. Aber es war Wahnsinn, und das Personal im Bradley wusste, was Wahnsinn war, und deshalb gingen sie verständnisvoll mit Bethany um und trösteten uns.
Trotzdem tat es weh. Trotzdem zogen wir verschreckt den Kopf ein und hielten uns aufrecht, indem wir an etwas anderes dachten. Ich bin sicher, wenn sie sich wirklich abscheulich aufführte, dachten Mom und Pop an all das Schöne, das unsere Familie ausmachte, und daran, was für ein liebenswerter Mensch meine Schwester im Grunde ihres Herzens, ihres armen Herzens, wirklich war. Ich dachte an Dr. Georgina Glass’ Busen mit dieser gewissen, vorwärts drängenden Rundheit und Eleganz. Ich dachte daran, wie hübsch ihr Haar fiel und wie blütengleich sie duftete, aber was mich vor allem von Bethanys bösartigen Beschuldigungen und lauten Flüchen ablenkte, war meine Vorstellung von Georginas Brüsten und erhofften … nun ja, Nippeln. Denn diese Dinge bemerkte ich durchaus. Es war – auf meine Weise – mein Bewusstsein von der Welt, meine Verbindung zu ihr. Und es war nicht unheimlich oder beängstigend. Es war eine Wahrnehmung und dann ein Gedanke. Eine Art Tagtraum aus Fleisch und Blut. Aber es war keine Besessenheit das will ich damit sagen. Es war die Einleitung dazu, jemanden gern zu haben, ganz so, wie die Haut oder
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