Unglaubliche Reise des Smithy Ide
das ganze Zeug? Es regnet und regnet bloß noch. Ich fühl mich …«
»Smithy, sei nicht …«
»Ich fühl mich so … alt plötzlich.«
Das war es. So fühlte ich mich. Ich war so müde und so alt. Meine langen Haare ließen die kahle Stelle viel deutlicher hervortreten, und mein Bart hatte dicke graue Strähnen. Aber war ich noch bei Trost, der armen Norma was vorzuheulen?
»Smithy. Wirst du mir jetzt zuhören? Wirst du mir zuhören? Wenn du nicht genug an mich denkst, um mir zuzuhören, dann sag’s mir, und ich lege auf! Sofort!«
Bei Norma war niemals nur eine einzige Gefühlsregung im Spiel. Niemals. Es war, als habe ein verrückter Professor sämtliche Gefühle zu verschiedenen Kombinationen zusammengemixt. Norma war sehr komplex. Aber sie sagte immer, was sie fühlte.
»Leg nicht auf, Norma«, flüsterte ich, und wahrscheinlich ist nie eine kläglichere Stimme fünfzehnhundert Meilen weit gereist. Ich hörte, wie Norma tief ein- und wieder ausatmete.
»Ich lege nicht auf, Smithy. Ich werde niemals einfach auflegen, wenn ich mit dir spreche.«
Die Regenschleier wehten jetzt noch dichter herunter, und der Regen prasselte auf das Blechdach über dem Telefon.
»Ist das der Regen?«, fragte sie.
»M-hm. Hör mal.« Blöde hielt ich das Telefon zu dem Blechdach hinauf. »Kannst du das hören?«
»Ein starker Regen.«
»Es regnet seit fünf Tagen. Ich bin so nass, dass ich nicht mal mehr mein Zelt aufschlage.«
»Das solltest du aber tun. Ich möchte, dass du es tust.«
»Ich wollte dich anrufen. Ich …«
»Es ist okay.«
»Nein, es ist nicht okay, denn ich wollte mit dir über Bill und Bills Jungen sprechen. In der Army wurde mir das Leben gerettet. Wusstest du das? Und jetzt ist Bill einer von diesen Obdachlosen, und sein Sohn wollte mich umbringen.«
Norma sagte nichts, und so lehnte ich mich in den Regen und erzählte ihr alles. Das fühlte sich gut an, und ich schämte mich weniger.
»Das ist so traurig. Der arme Bill und die arme Theresa, und auch wenn er eine Pistole hatte: der arme Sohn.«
»Ich weiß.«
»Ich wünschte, wir könnten ihnen helfen.«
»Ich weiß.«
»Glaubst du, wir könnten es?«
»Ich glaube – ich glaube, später werde ich es versuchen. Ich weiß es nicht. Ich kenne einen netten Priester, der etwas vom Starksein versteht. Ich weiß es nicht.«
Der Regen hatte nachgelassen und war nur noch ein Wolkenbruch, aber er klimperte immer noch laut auf der Telefonzelle.
»Weißt du, woran ich arbeite, Smithy? Ich hab’s hier vor mir auf dem Zeichenbrett. Ich arbeite an den Plänen für eine neue Yacht, die von Blount Shipyard gebaut wird. Sie werden versuchen, sie beim America’s Cup mitsegeln zu lassen.«
»Ich wette, sie ist schön.«
»Wie eine Weltraumrakete auf dem Wasser. Brauchst du Geld?«
»Ich komme aus.«
»Wenn du Geld brauchst …«
»Ich gebe fast nichts aus. Ich hab noch ungefähr zweihundert Dollar. Wirklich.«
»Würdest du es mir sagen, wenn du Geld brauchtest?«
»Ja.«
»Ich liebe dich, Smithy.«
Ein Lastwagen fuhr auf den Rastplatz, und dann noch zwei Personenwagen. Ich frage mich, was sie von mir denken mochten, im Regen, am Telefon.
»Wie sieht dein Zimmer aus, Norma? Ist es … Hast du alle deine Lieblingssachen um dich herum? Ich meine …«
»Ich verbringe die meiste Zeit hier, mit Arbeiten und allem, und deshalb ist es wohl so was wie mein Reich. Mal sehen – ich hab in Providence einen sehr guten neuen Perserteppich gekauft, und der bedeckt fast den ganzen Boden bis zu den Wänden. Er ist rot und golden, ein sehr kunstvolles Muster. Meine geschäftlichen Sachen habe ich zu beiden Seiten des Zeichenbretts. Meins ist blau; Normalerweise sind Zeichentische meistens aus braunem oder hellem Holz, aber ich hab ihn in einem hübschen Blau lackieren lassen, wie ein Möwenei … Da hab ich mein Fax und zwei Computer, die für Designarbeit ausgerüstet sind, mit CD-ROM und allem Drum und Dran, und das Telefon und den Drucker und einen Rollschrank, in dem ich Stifte und Papier aufbewahre. Ich hab einen Druck von Mary Cassatt mit einer Mutter und ihrer Tochter. Ich hab ein Autogrammfoto von Teddy Williams …«
»Von Teddy Williams? Wirklich?«
»Das hat Pop mir geschickt. Es gehörte Pop.«
»Ich erinnere mich.«
»Ich vermisse die beiden, Smithy. Ich vermisse sie so sehr. Pop …«
Durch das schlechte Wetter über alle Staaten hinweg kämpfte Norma mit den Tränen. Es gefiel mir, dass sie die beiden vermisste. Ich vermisste sie auch.
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