Unheimliche Begegnungen (German Edition)
unweigerlich zum Absturz führte.
„Wie tief ist dieser Schacht?“, fragte Vinc.
Die Antwort verblüffte ihn. Wieso wurde der Wüstenkönig plötzlich so redselig? Wollte er sein Wissen preisgeben oder tat er es unbewusst in einer guten Laune heraus?
„Nach zwanzig Löchern kommt man an zwei Seitenstollen, die aber leer und sehr klein sind, dann noch dreißig Löcher, so gelangt man in den großen Hauptgang, in den wir eindringen werden“
Vinc nutzte seine Plauderlaune und fragte: „Wie weit sind die Löcher voneinander entfernt?“
Er nannte kein Maß, sondern sagte nur: „Das Steigen ist ganz bequem.“
„Wie ist die Luft da unten?“, fragte Vinc.
„Sie ist fast so gut wie hier oben. Es muss Luftlöcher geben, die ich noch nicht gefunden habe. Vielleicht gelingt es, mit deinem Scharfsinn sie zu entdecken.“
Er sagte es mit einem leisen Nebenklang, den Vinc jetzt nicht beachtete. Später erkannte er, dass es Hohn gewesen war.
„Sind die Steiglöcher zuverlässig?“, erkundigte sich Vinc weiter. „Der Schacht besteht jedenfalls auch aus lockerem Gestein, das leicht bröckelt. Da könnte man den Halt verlieren und leicht in die Tiefe stürzen.“
„Das ist nicht möglich. Das Gestein ist fest.“ Der Zwerg deutete in die Ecke des Raumes: „Dort ist ein Seil, an das wir uns binden werden.“
Er sah in der Tat ein Seil liegen. Aber wieso kam es plötzlich dahin. Jedenfalls als Vinc zuvor den Raum musterte, war er vollkommen leer.
„Wer steigt voran?“, fragte der Kleine.
Wollte Vinc nicht von dem Wüstenkönig, wenn er doch einen Verrat plante, übertölpeln lassen, so musste dieser voransteigen.
So sagte er ihm daher, dass er als Führer den Ersten machen müsse und er ging auch freiwillig darauf ein.
Also der Wüstenkönig voran. Das eine Ende der Leine wurde dem Kleinen unter die Arme hindurch um die Brust festgebunden. Das andere Ende schlang sich Vinc um die Hüften, wo es durch einen Knoten sicheren Halt bekam.
Der Kleine kannte wohl den Schacht, denn er brauchte kein Licht.
Nun kniete Vinc zunächst vor der Öffnung nieder, um mit der Hand hinabzulangen und die Steiglöcher zu untersuchen. Sie waren groß genug als Haltepunkt für Füße und Hände und ihre Kanten zeigten sich fest.
Nun stieg der Wüstenkönig hinab und war bald verschwunden.
Dann stieg auch Vinc ein. Die ersten Schritte führten nur langsam abwärts. Dann aber gewöhnte man sich an die Lage und Entfernung der Löcher und es ging rascher. Gesprochen wurde nicht.
Vinc zählte die Schritte. Richtig, nach zwanzig Löchern gab es vor und hinter ihm je eine Stollenöffnung. Nun noch dreißig Löcher abwärts bis zum Haupteingang. So dachte er, weil es der Wüstenkönig gesagt hatte, aber es kam anders. Er war an den beiden Stollen vorüber und hielt sich eben mit der Rechten im vierten oder fünften Loch weiter unten fest, als von oben herab ein Lachen erscholl, das die engen Wände des Schachtes grausig widerhallen ließ. Es klang, als höhnte eine Schar von Teufeln. Dazu hörte er die Worte rufen: „So bringt man dich zum Schweigen. Verschmachte hier in der Tiefe und erwache dann im Abgrund der Hölle!“
Er sah empor und sah zwei Gesichter, die vom Schein eines Lämpchens so beleuchtet wurden, dass er sie erkannte, aber auch zugleich in Erstaunen versetzte. Er sah zwei Wüstenkönige im gleichen Aussehen. Nicht für einen Augenblick verlor Vinc die Geistesgegenwart. Er wusste sofort, um was es sich handelte: Er sollte hier eingesperrt werden, um elendig umzukommen. Da galt schnelles Handeln: Er musste sofort wieder empor.
„Kennst du mich?“, rief der eine von oben herab. „Du steckst fest und keiner wird dich erlösen.“
„Keiner!“, stimmte der andere bei. „Du fingst schon an, mir zu misstrauen. Ich sah es dir an, doch du warst so dumm, mir zu folgen. Ich gehöre zur dunklen Seite und habe, um mich an dich zu rächen, am Hügel auf dich gewartet. Nun stirb, deine Seelen soll verflucht sein in alle Ewigkeit!“
Vinc antwortete nicht, denn jedes Wort wäre vergeblich gewesen. Nur Taten konnten retten. Während er mit den Füßen in den Mauerlöchern stand, sich mit der linken Hand festhielt, schnitt er mit dem Messer, das er damals fand und noch bei sich trug, den Strick entzwei. Er erkannte, wo sich die beiden Feinde befanden: Sie lagen in den zwei Stollen, an denen sie vorübergekommen waren, der eine hüben, der andre drüben und hielten die Köpfe über dem Schacht, in dem er steckte. Er musste
Weitere Kostenlose Bücher