Unsere Claudia
die Eifersucht – alles quoll jetzt aus ihr hervor, in heißen Tränen quoll es hervor und kullerte ihr über die Wangen. „Meine Claudia – Claudia, mein Kind! Jetzt hör mir mal zu, Claudia. Ich brauche dich jetzt und immer! Verstehst du denn nicht, daß ich in allen diesen Jahren mich danach gesehnt habe, täglich und stündlich, zu Hause zu sein und bei meinem Kind? Claudia, du weißt, daß ich dich so liebhabe, wie eine Mutter ihr Kind überhaupt liebhaben kann. Wenn du nun aber nachdenkst, Kind, dann wirst du erfahren, daß es verschiedene Arten von Liebe in der Welt gibt. Die Mutterliebe und die Liebe des Kindes zur Mutter – und die Liebe einer Ehefrau zu ihrem Mann. Ich habe Onkel Peter lieb, Claudia. Ich habe ihn unsagbar lieb! Aber das Herz einer Frau enthält so viel Liebe, Claudia. Du hast deinen großen, festen Platz in meinem Herzen. Der Platz, den Onkel Peter bekommen hat, der hat viele Jahre leergestanden. Verstehst du das?“
Claudia blickte durch Tränen auf die Mutter. „Leergestanden – aber Mutti, wann hast du denn aufgehört, Papa liebzuhaben?“
Die Mutter zögerte etwas mit der Antwort. „Ich dachte mir schon, daß du diese Frage stellen würdest, Claudia. Siehst du, ich habe deinen Papa sehr liebgehabt. Aber ich war damals noch sehr jung, und er wurde mir so bald wieder genommen. Was man erlebt, wenn man sehr jung ist, das muß später anderen großen Erlebnissen weichen. Wäre dein Papa am Leben geblieben, so hätten wir drei bestimmt gut miteinander gelebt, und ich hätte überhaupt nicht daran gedacht, daß es einen Onkel Peter gibt. Aber Papa ist gestorben, und mein Leben war voller Probleme, die ich allein lösen mußte, und es ereignete sich so vieles, und das Leben ging weiter – wir sind nun einmal so eingerichtet, wir Menschen, daß die Zeit und neue Erlebnisse unsere alten Wunden heilen. Verstehst du das liebe kleine Claudia?“
Es war so richtig, so richtig, was Mutti sagte! Claudia wußte, daß es richtig war. Ihre ganze Vernunft sagte ihr, daß sie froh und zufrieden sein müsse. Aber da war in Claudias Innerem noch etwas anderes als die Vernunft, ein ganz bestimmtes Gefühl, und das gab Mutti nicht recht und ließ sich nicht unterkriegen.
Mutti wird sich nur mit Onkel Peter beschäftigen. Natürlich ist es gut, wenn sie den ganzen Tag zu Hause ist und sich nicht mehr bei Wederholms abrackern muß. Aber wenn ich aus der Schule nach Hause komme, dann ist der halbe Tag vergangen, und dann kommt Onkel Peter auch bald. Und abends sitzt Mutti dann mit Onkel Peter zusammen. Nie mehr brauche ich ihr ein Fußbad zurechtzumachen. Nie mehr werde ich Mutti abends das Teebrett hineinbringen. Jetzt ist es umgekehrt, Mutti wird für mich sorgen, und ich werde nicht für Mutti sorgen.
Und wieder kamen die Tränen, jetzt rannen sie stiller, aber sie rannen und rannen, sinnlose Tränen der Enttäuschung.
„Claudia, liebstes Kind – mein kleines Mädelchen… wird es dir denn so furchtbar schwer, daran zu denken, daß wir ein normales Leben führen werden? Daß wir eine kleine Familie sein werden anstatt einer berufstätigen Mutter mit Schlüsselkind? Claudia – du hast deine Mutter doch lieb, nicht wahr?“
„Ja doch, ja doch!“ schluchzte Claudia. „Das ist es ja!“
Jetzt klang Anita Kellers Stimme sanft und leise: „Aber Kind, dann mußt du doch besser als irgend jemand Onkel Peter verstehen können. Er hat mich nämlich auch lieb!“
Dann schwiegen sie beide. Claudias Tränen versiegten. Zuletzt kam ein zitterndes kleines Lächeln zum Vorschein. „Sei mir nicht böse, Mutteichen. Du hast gar keine Ahnung, was – was für ‘n Gefühl das ist…“
„Nein – vielleicht nicht…“, sagte Mutti nachdenklich. „Aber Claudia, wenn du es so – so schwierig findest, kannst du dir dann nicht eins vor Augen führen: das einzige, was wirklich eine Rolle spielt, für dich und für mich und für Onkel Peter, das steht felsenfest: Ich hab’ dich lieb, Onkel Peter hat dich lieb, und wir sind beide von dem Wunsch erfüllt, dir das Leben so freundlich wie nur irgend möglich zu gestalten.“
Claudia schwieg wieder. Mutti zog sich aus und ging ins Bett.
„Wann werdet ihr heiraten?“ fragte Claudia plötzlich in die Dunkelheit hinein.
„Wir dachten, am ersten Februar.“
„So bald?“
„Ja. Worauf sollen wir warten? Du weißt, ich habe monatliche Kündigung, und für die Wohnung ebenfalls…“
„Wir ziehen weg – von hier weg?“
„Das kannst du dir doch
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