Unter den Sternen des Südens: Australien-Saga (German Edition)
Alkohol.
»Die ganze Herde hat sich ins Gras gelegt. Ziemlich ungewöhnlich, nicht?«, sagte sie und tat so, als würde sie nicht bemerken, dass er schon wieder betrunken war.
»Sturm zieht auf«, lallte er mit schwerer Zunge.
Amanda sah ihn neugierig an. »Woher weißt du das? Der Wetterdienst sagt, dass der Sturm erst morgen Nacht kommt oder übermorgen.«
Brian packte sie am Arm, zerrte sie unsanft an die Hintertür und hob den Zeigefinger. »Hör genau hin.« Stille. »Nichts. Nicht das kleinste Geräusch. Kein Vogelzwitschern, kein Zirpen, nichts.« Er deutete auf die Weiden. »Die Schafe drehen dem Unwetter ihre Kehrseite zu, und die Kühe wandern an die nördlichste Stelle bis zum Zaun.« Er ließ ihren Arm los, schwankte zum Küchentisch und setzte sich wieder. »Gibt’s was zu essen?«
Amanda rieb sich die Stelle, wo seine Finger ihren Arm umklammert hatten. Sie wusste nicht, ob sie sich ärgern sollte oder Mitleid haben mit diesem gebrochenen Mann. Sie ging zu ihm an den Tisch und kniete sich vor ihn, während sie die Hand auf seinen Arm legte. »Dad, warum betrinkst du dich ständig? Ich könnte so vieles von dir lernen, wenn du mit mir zusammenarbeiten würdest.« Noch als sie die Worte aussprach, hatte sie eine Erkenntnis. Ihre Gedanken wanderten zurück zu all den Gesprächen mit ihrem Vater, die in Streit ausgeartet waren. Das hat er die ganze Zeit versucht, mir zu sagen , dachte sie. Jetzt verstehe ich, was er mir sagen wollte . Sie brauchte ihren Vater – aber sie hatte ihn weggestoßen.
»Du weißt doch alles«, entgegnete er und sah sie ohne Zorn an. »Das hast du selbst gesagt, in der Bank. Wozu brauchst du also einen alten Säufer, der dich herumkommandiert? So, genug, mir ist der Appetit vergangen. « Er stand auf und wankte durch die Tür in den Flur zu seinem Büro.
Amanda lag im Bett und versuchte, sich nicht den Kopf zu zerbrechen über ihren Vater. Seit dem Streit am Mittag hatte er sein Büro nicht mehr verlassen, aber sie beschloss, sich deswegen keine Sorgen zu machen. Sie hatte ihre Wahl getroffen, so wie er seine, und nun würden sie beide mit den Konsequenzen leben müssen.
Sie überlegte, ob sie alle nötigen Vorkehrungen getroffen hatte, um ihre frischgeschorenen Schafe vor dem aufziehenden Sturm zu schützen. Vor dem Schlafengehen checkte sie im Internet die Wetterkarte und sah, dass ein breites Regenband die Westküste überquerte. Ungefähr noch ein Tag, bis es Kyleena erreichte, schätzte Amanda.
Aber um halb eins in der Nacht war das erste Donnergrollen zu hören, und der Wind frischte deutlich auf.
Bei Tagesanbruch hatte der Sturm sich verzogen. Amandas Augen waren verquollen, weil sie die ganze Nacht nicht hatte schlafen können. Sie saß im Arbeitszimmer ihrer Mutter am Fenster, den Kopf in die Hände gestützt, während der Morgen graute, und spähte in das fahle Licht hinaus, um zu erkennen, ob der Sturm Schäden angerichtet hatte, aber ihr fiel zunächst nichts auf.
Sie ließ den Blick weiterwandern und stellte verwundert fest, dass der Boden trocken war. Es fiel nur ein ganz feiner Nieselregen, nicht einmal genug, um den Regenmesser zu befeuchten. Im Süden braute sich eine dunkle Wolkendecke zusammen, die mehr Regen versprach als das graue Band über ihr am Himmel.
Das Wetter war jedenfalls zu unbeständig, um draußen zu arbeiten. Da Mingus sich vor Gewittern fürchtete, ging Amanda kurz hinaus, um den zitternden Hund aus seinem Zwinger zu holen.
Im Vorgarten spürte sie einen Regentropfen. Sie blickte zum Himmel hoch und hielt die Hand auf, um den nächsten Tropfen aufzufangen, aber es kam keiner mehr. Ihr Blick schweifte zum Horizont, und ihr fiel auf, dass die Bäume an der weit entfernten, südlichen Grundstücksgrenze sich bogen, als würden sie von orkanartigen Böen hin und her geworfen, während dort, wo sie sich befand, nur ein sanftes Lüftchen wehte. Sie stand wie angewurzelt da und beobachtete erstaunt, wie der Sturm immer näher kam. Sie konnte seinen Weg genau verfolgen. Zuerst fegte er wellenförmig durch das Gras, dann wirbelte er Laub und Sand durch die Luft, und zum Schluss kam eine so heftige Böe, dass Amanda beinahe umgeworfen wurde. Im nächsten Augenblick begann es zu regnen. Wie feine Nadelstiche spürte sich das Nass auf ihrer Haut an, und die Außentemperatur sank spürbar.
Amanda lief rasch zum Haus, Mingus an ihren Fersen. Von der Veranda aus beobachtete sie das Unwetter. Der Regen prasselte jetzt so heftig herunter, dass die
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