Unter der Haut (German Edition)
Luft und hob ständig den Kopf, um das kleine Mädchen neben sich anzuschauen.
»He, guck dir das an«, sagt Ivy, »er ist jetzt schon hinter ihr her.« Sie streckt instinktiv die Hand aus, um ihre Tochter zu schützen.
»Einen Sextick hast du«, sage ich. »Ivy, mit drei Monaten wird er sie wohl kaum vergewaltigen wollen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Sieh dir das an! Nein, ich werde sie im Auge behalten. Ich weiß doch, was ich alles angestellt habe – ich warne sie lieber gleich. Und
ihn
behalte ich auch im Auge, das sage ich dir! John, hörst du mir zu? Hey, John!«
Das gigantische Geschlecht des neugeborenen Jungen hatte sich wieder dem Rest angepasst, die Größenverhältnisse stimmten. Trotzdem – das süße kleine, schnaufende Mädchen mit den Grübchen, der kräftige, ausgreifende Junge … Wir lachten. Wir standen da und lachten und konnten nicht aufhören.
Als ich mich erholt hatte, gab ich zu bedenken: »Aber du hättest einen Jungen kriegen können und ich ein Mädchen.«
»Niemals! Un-mög-lich!« Sie gab dem uns beide beherrschenden Gefühl Ausdruck, dass wir kein anderes als gerade
dieses
Baby hätten bekommen können.
»Guck dir den Kerl an! Und dieses
Ding
…« Sie zeigt mit dramatischer Geringschätzung auf die Geschlechtsteile meines Sohnes. Dann wendet sie sich voll Entzücken ihrem eigenen Baby zu und bewundert den Venushügel in seiner runden Vollkommenheit. »Wie ein kleiner Briefschlitz«, gurrt sie. »Oh, ich könnte ihn glatt fressen und mit Eis garnieren. Oh, ich könnte Briefe hineinwerfen. Oh, was für eine süße kleine Möse, wie kann man die nur schützen …« Und wieder zeigt sie voll dramatischer Geringschätzung mit dem Finger auf ihn.
Wir schnappten uns die Kinder, tanzten mit ihnen durchs Zimmer und sangen:
»I’m in heaven, I’m in heaven, and my heart beats so that I can hardly speak. And I seem to find the happiness I seek, when we’re out together dancing cheek to cheek.«
Oder
»Night and day I think of you …«
Ivy, die schließlich selber Krankenschwester war, verkündete ihrem Mann, dass sie der Frau vom Gesundheitsamt wahrscheinlich den Hals umdrehen werde, wenn die sich noch einmal in ihre Wohnung traute. Ich äußerte mich Frank gegenüber in demselben Sinne. Er meinte, ich solle tun, was ich für richtig hielte. Unsere Männer ließen uns gewähren, und ich kann ihnen deshalb keinen Vorwurf machen. Es drehte sich alles nur noch um die Babys, ihre Entwicklung, ihre Mahlzeiten, ihren Stuhlgang, ob und wie sie zunahmen, ob sie schliefen oder nicht. Wenn Frauen aus dieser Zeit der Versenkung, in der sie sich ausschließlich mit Kleinigkeiten beschäftigen, auftauchen, können sie nur über sich staunen.
Die Männer verbrachten ihre Tage und Nächte mit anderen Männern. Alle warteten sehnsüchtig auf den Moment, in dem sie in ihre Uniformen schlüpfen konnten, und saßen in den Kneipen und Hotelbars oder auf der Sports-Club-Veranda.
»Stell dir vor«, sagt Ivy und schaut zuerst ihre stumpfen, leblosen Haare an und dann mich mit meinem Übergewicht in einem Kleid, das aus allen Nähten platzt, »wir waren einmal die Stars des Sports Club. Das würde uns heute keiner mehr glauben, oder? Ach zum Teufel damit, das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.«
Als ich anfing, meinem Sohn die Flasche zu geben, behauptete meine Mutter, ich sei selbstsüchtig und dächte immer nur an mich. Ich konnte sie nicht länger ertragen und war noch kühler, höflicher und geduldiger. Ich stimmte ihr in allem zu, was sie sagte, und es machte sie schier wahnsinnig, so ausgeschlossen zu werden. Sie sagte dauernd, dass Töchter in dieser Zeit ihre Mütter bräuchten, und ich stimmte ihr zu und wartete darauf, dass sie wieder abfuhr.
Ihr eigenes Leben war mittlerweile kaum noch zu ertragen. Mein Vater war jetzt fast permanent krank. Er war Invalide. Das Wort klingt nach einem dauerhaft schlechten Zustand, aber er machte eine traumatische Krise nach der andern durch. Er lag im Koma, oder beinahe, er hatte viel zu viel Insulin gespritzt bekommen, oder viel zu wenig. Seine Leber, seine Verdauung, sein Bauch … Sein gutes Bein war mittlerweile so dünn, dass er kaum noch laufen konnte. Sie saß allein mit ihm auf der Farm, und er konnte nicht mehr sicher Auto fahren. Sie musste ständig Nachbarn bitten, sie in die Stadt mitzunehmen, und sie hasste es, von anderen abhängig zu sein. Warum machte sie keinen Führerschein? Das tat sie erst später, in der Stadt. Ihre
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