Unter der Haut (German Edition)
Unterricht hatten, waren gebildete Frauen. Zumindest eine von ihnen war eine Anhängerin der Nazis – behauptet Muriel Spark, die in ihrer Autobiografie dasselbe Kloster beschreibt. Schwester Margaret war Musiklehrerin, und sie hat das kleine Mädchen gut behandelt, dessen Mutter unablässig betonte, dass es ein musikalisches Wunderkind sei. Ihr war klar, dass meine Mutter begabt genug gewesen wäre, um als Musikerin Karriere zu machen, und so hörte sie freundlich zu, wenn meine Mutter berichtete, was ihre ehrgeizigen Pläne vereitelt hatte, und brachte mir vier Jahre lang Tonleitern und Etüden bei, erzählte mir von großen Musikern und den Hindernissen, die sie zu überwinden hatten. Sie hat nie auch nur angedeutet, dass mein Talent nur gering war. Von einer anderen Nonne, Schwester Patrick, wurde behauptet, dass sie eine echte Lady sei, aus Irland, die um der Liebe Gottes willen alles aufgegeben habe. Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau mit einem fein geschnittenen Gesicht, war geistreich, hatte einen trockenen Witz und konnte manchmal sehr unfreundlich sein. Sie zitierte mit Vorliebe lateinische oder französische Autoren und seufzte dann: »Aber den kennt ihr ja doch nicht.«
Ich war intelligent, das zeichnete mich aus, die intelligente, kleine Tigger Tayler. Der Schulstoff bereitete mir keinerlei Schwierigkeiten, Prüfungen waren eine Freude. Aber gegen dieses Intelligentsein habe ich von Anfang an, ohne zu merken, was ich tat, rebelliert. Meine Intelligenz war das Erbe meiner Mutter, genau wie meine Musikalität, sie wurde ausdrücklich betont, sie wurde anderen Leuten vorgehalten, damit sie uns bewunderten, sie wurde vor den Farmersfrauen gepriesen, sie wurde benutzt, um an Stipendien und Sonderprivilegien heranzukommen.
Die Welt, die mir gehörte, in der ich mich zu Hause fühlte, war die Welt der Bücher, aber um sie musste ich von dem Tag an kämpfen, als ich im Kloster ankam. Die Schulbücherei bestand aus mehreren Räumen, in denen die Bücherregale bis an die Decke reichten, jedes Buch war ordentlich in braunes Papier eingeschlagen, Titel und Verfasser waren in Tinte auf dem Buchrücken vermerkt. Ich hatte das Gefühl, in eine Schatzhöhle geraten zu sein, aber die Schwestern in der Bücherei glaubten nicht, dass eine Achtjährige bereits
Oliver Twist
und
Jahrmarkt der Eitelkeit
gelesen hatte. Sie bestanden darauf, dass ich die Erlaubnis meiner Eltern einholte, solche anstößigen Bücher ausleihen zu dürfen. Mein allwöchentlicher Brief nach Hause lautete: »Es geht mir sehr gut. Ich hoffe, Euch geht es sehr gut. Wie geht es Lion und Tiger? Schwester Perpetua sagt, ich muss Eure Erlaubnis haben, um Bücher lesen zu dürfen. Nur noch vier Wochen, drei Tage und sieben Stunden bis zu den Ferien. Liebe Grüße an Harry.« Während ich auf die Erlaubnis wartete, drängten mir die Nonnen Erbauungsliteratur auf, die zwei lange Regale füllte. Das Wort »unnatürlich« reicht kaum, um das moralische Klima zu beschreiben, aus dem diese Romane entstanden waren. Sie hatten alle die gleiche Handlung. Ein unschuldiger junger Mensch, mal ein Mann, mal ein junges Mädchen, lernt scheinbar zufällig einen weltläufigen Menschen kennen, gewöhnlich eine gut gekleidete, ältere Frau, deren Lächeln und Blick verlockende Initiationen verheißen. Er wird in ein Landhaus eingeladen, wo er sich in der Gesellschaft von zahllosen älteren, weltgewandten Leuten wiederfindet, die sich alle durch die gleiche Aura des Geheimnisvollen auszeichnen. Der verwirrte Neuling wohnt Séancen bei, Levitationen und zweifelhaften Messen in verfallenen Kapellen und Waldhainen. Dann folgt – die Entscheidung! Linker Hand der Weg in den Satanismus, rechter Hand der beschwerliche Pfad der Tugend, der nur die Dummen oder die Zaghaften reizen kann. Ich habe nie wieder etwas gefunden, das sich mit dieser Mischung aus Erotik und schwarzer Magie vergleichen ließe, bis ich vor ein paar Jahren die amerikanische Fernsehserie
Twin Peaks
sah. Aber den Klosterromanen fehlte der groteske Witz, der den Film auszeichnet.
Ich fand diese Romane nicht so spannend, wie die Büchereischwestern es gern gehabt hätten. Mir waren weder Séancen noch Satan ein Begriff. In den vier Jahren, die ich auf der Klosterschule verbrachte, wurde ich ständig gedrängt, mehr davon zu lesen. Wenn ich heute katholische Freunde danach frage, kennen sie weder diese noch vergleichbare Bücher. Vielleicht hatte irgendjemand in einer kirchlichen Bibliothek ausgemistet
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