Unter der Haut (German Edition)
Bandage feucht und murmelte dabei den Namen des Jungen. Ein Geständnis von höchster psychologischer Bedeutung, ich weiß, aber was mich heute mehr interessiert als die Tatsache, dass ich einen verwundeten Geliebten brauchte wie meinen Vater, ist, dass ich einen Zauber vollzog, einen magischen Akt, obwohl ich mich als Kind von be- wusst rationalen Eltern mit dergleichen überhaupt nicht auskannte. Mein Instinkt lehrte mich, die äußere Welt durch gutes Zureden und andere wohl Millionen Jahre alte Mittel zu manipulieren. Jedem Schamanen wäre klar gewesen, was ich da tat.
Es gab noch etwas anderes, das den Krankensaal für mich so verlockend machte und mich dorthin trieb, sofern die gute Schwester Antonia mitspielte. Ich passte nicht zu den anderen Mädchen, und das nicht nur, weil ich für mein Alter zu weit war – worüber sich offenbar alle beklagten. Eine Szene: Zehn oder zwölf kleine Mädchen sitzen um einen Tisch im Speisesaal und stopfen unter der Aufsicht von Schwester Theresa viel geflickte braune Strümpfe und viel geflickte braune Unterhosen. Sie prahlen mit ihren Ferienerlebnissen, Reisen nach Durban, Reisen nach Kapstadt, ja einer Reise nach England. Ich will ihnen von dem berichten, was mir besonders wichtig und teuer ist, und erzähle, wie ich auf dem großen Feld Maiskolben gepflückt und hinterher die Körner abgepult habe für einen Käseauflauf. Die Mädchen wechseln verächtliche Blicke, und die Schwester gratuliert mir zu meiner schicklichen Demut und Bescheidenheit, während ich mit gesenktem Kopf affektiert lächele und mich über mich selbst schwarzärgere. Von da an blieb ich stumm. Das Internatsleben und das Familienleben werden überall streng voneinander getrennt, aber es kann kein Familienleben gegeben haben, das so nachdrücklich vor den Schulfreundinnen geheim gehalten wurde wie meines. Die Internatsschülerinnen waren fast alle Farmerstöchter, aber ich merkte bald, dass sie mit den externen Mädchen aus der Stadt mehr gemein hatten als mit mir. Sie hatten keine Ahnung vom Busch und schienen sich vor ihm zu fürchten. Sie eigneten sich keinerlei Fähigkeiten an, die man für das Leben auf einer Farm brauchte. Als ich von der Klosterschule abging, konnte ich Bruthennen setzen, Hühner und Kaninchen versorgen, Hunde und Katzen entwurmen, Gold waschen, Proben aus anstehendem Gestein entnehmen, kochen, nähen, mit der Milchzentrifuge umgehen und Butter machen, im Förderkübel in eine Mine einfahren, Sahnekäse und Ingwerbier bereiten, mit der Schablone Muster auf Stoff malen, Pappmaché herstellen, auf Stelzen gehen, die aus langem, im Busch geschnittenem Stangenholz gefertigt waren, Auto fahren, Tauben und Perlhühner für den Kochtopf schießen, Eier einlegen – und noch vieles mehr. Während ich diese Arbeiten verrichtete, war ich zutiefst glücklich. Nur wenige Dinge in meinem Leben haben mir mehr Freude gemacht. Das ist echtes Glück, wahres Kinderglück: etwas lernen und das Gelernte anwenden zu können, und vor allem zu wissen, dass man etwas für die Familie tut, dass man sich nützlich macht und der Familie lieb und teuer ist.
Kapitel Sieben
Mit etwa zwölf Jahren schrieb ich eine kleine Geschichte mit dem Titel
The Treasure Trunk
, in der die Schatztruhe für mich das Symbol für alles Gute war, das meine Eltern im Exil hatten hinter sich lassen müssen. Wir hatten einen alten Schrankkoffer voller Zauber und Geheimnisse. Ich vergaß ihn tage- und wochenlang, aber dann rückte er durch etwas, das mein Vater über England sagte, oder durch einen Seufzer meiner Mutter wieder in meine Aufmerksamkeit. Anfangs durfte er nicht mal berührt werden. Später, als meine Eltern begriffen, wie unwahrscheinlich es war, dass der Koffer jemals in einem richtigen Haus ausgepackt werden und alles, was er enthielt, seinen Platz finden würde, durfte ich Sachen herausholen, vorausgesetzt, dass ich sie wieder genauso verstaute, wie ich sie vorgefunden hatte: eingepackt in viele Schichten knisternden weißen Seidenpapiers oder in das weiche schwarze Papier, das Gold- und Silber- und Bronzeborten vor dem Anlaufen schützte.
Ganz oben lagen Babysachen, die bestickten, mit Biesen und Rüschen besetzten Batist- und Musselinkleider und Petticoats und Jäckchen, die mein Bruder und ich früher getragen hatten. Als ich um das Baby trauerte, das meine Mutter nicht mehr bekommen würde, breitete ich diese kleinen Sachen um mich aus, streichelte sie und weinte. Daraufhin bekam ich meine erste –
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