Unter Korsaren verschollen
nicht, was werden soll, nimmt nur jede Möglichkeit wahr, sich vor den Verfolgern zu sichern. Auf den Resten der Kom-mandobrücke schöpft er einen Augenblick Luft.
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Schon hetzen die Feinde, von den Wutausbrüchen des Kapitäns aufgestachelt, heran.
Parvisi reißt die Schußwaffe aus dem Gürtel. Ein Glück, daß sie ihm bei der Kletterei nicht verlorengegangen ist. Der erste, der die Treppe erklimmen wird, erhält die Kugel in den Kopf.
Jetzt erst spürt der junge Mann die Anstrengung des ungleichen Ringens. Das Blut hämmert in den Schläfen, das Herz schlägt wie bei höchstem Fieber, die Ohren sind taub.
Während der letzte Kämpfer der »Astra« die Verfolger erwartet, taucht in seinem Rücken ein finsteres Gesicht auf. Es ist ein Türke. Zwei Hände stützen sich auf den Aufbau. Der Kopf wird eingezogen, so daß er fast zwischen den Schultern versinkt, ein Schwung, und der Pirat flankt auf die Bretter. Geschmeidig, spielerisch, lautlos geschah es. Die Füße sind noch kaum richtig aufgesetzt, da schleicht der Korsar auch schon die wenigen Schritte vor, richtet sich blitzschnell auf. Ein Schlag mit dem Kolben der Pistole. Luigi Parvisi fällt nach vorn, die Brücke hinab und den Verfolgern vor die Füße.
Kein Siegesgeschrei. Der Türke verzieht keine Miene.
Zu alltäglich ist ihm diese furchtbare Arbeit.
Niemand kümmert sich um den Besiegten. Der Kampf ist gewonnen.
Wenig später werden die leblosen Körper von Freund und Feind über Bord geworfen. Ihnen nach folgt alles, was an Brettern, Planken, Aufbauten und anderem bei der Kanonade losgesprengt worden ist.
Lediglich die kommen mit dem Leben davon, die während des Kampfes unter Deck waren oder die noch atmen. Sie behalten es – um in die Sklaverei geführt zu werden.
In die Sklaverei!
Parvisis Diener Benedetto ist unter diesen »Glücklichen«.
Die Korsaren des Deys von Algier sind Herren der
»Astra«.
VERWIRRENDE BOTSCHAFT
Man sagt, daß für heute der Marseiller Segler erwartet werde. Habt Ihr etwas darüber gehört, Signore Gravelli?« Ein alter Kaufmann richtet beim Verlassen der Börse diese Frage an den Bankier.
»Ich bin dabei, zum Hafen zu gehen. Vielleicht kommen Nachrichten für mich mit«, entgegnet der Angesprochene.
»So wißt Ihr es sicher? Dann werde ich Euch begleiten, wenn Euch meine Gesellschaft nicht lästig fällt.«
»Ich kann Euch nicht hindern, Brandi.« Das ist hochmütig. Ein geringschätziger Zug spielt um Gravellis Mundwinkel. Der andere will nur in seiner Nähe bleiben, sich vielleicht einen Kredit verschaffen, oder glaubt er, aus Begegnungen, die er, der Bankier, unterwegs haben könnte, etwas für das eigene Geschäft zu gewinnen? Es ist ja stadtbekannt, daß ein französisches Schiff einlaufen soll.
Der Kaufmann fühlt die ablehnende Haltung des Bankiers, aber er geht darüber hinweg. Es ist nun einmal so, daß die Großen die weniger Glücklichen von oben herab behandeln.
Am Alten Hafendamm, der das Hafenbecken fast umspannt und den Hafen vor der offenen See schützt, haben sich schon viele Menschen eingefunden. Sie stehen in Gruppen zusammen und besprechen geschäftliche Angelegenheiten oder ergehen sich im üblichen Stadtklatsch.
Gravelli sucht sich einen Platz zwischen Kisten und Ballen, die für die Verladung bereitstehen.
»Eigentlich müßte der Marseiller Segler auch Nachrichten über die Ankunft der ,Astra’ in Malaga mitbringen«, bemerkt Brandi nach einiger Zeit.
»Hm.« Mehr sagt Gravelli dazu nicht.
»Euch berührt das nicht, ich weiß. Dagegen brennen verschiedene genuesische Kaufleute darauf, Gewißheit über die Reise des Seglers zu erhalten. – Verzeiht, aber warum habt Ihr das große Geschäft, die ,Astra’ zu versichern, in den Wind geschlagen? Die ganze Stadt war erstaunt, als Ihr es seinerzeit ablehntet.«
»Vielleicht hatte ich keine Lust, mein Geld zum Fenster hinauszuwerfen.«
Brandi blickt auf. »Was – was soll das heißen?« stottert er.
Bei Gravellis Worten hat ein anderer, der auf der Rückseite des Warenstapels wartet, aufgehorcht. Es ist Andrea Parvisi, der Großkaufmann. Er und Angestellte seines Hauses hatten sich bisher leise über bevorstehende Geschäfte unterhalten.
Jetzt tritt er näher an die künstliche Mauer. Seine Sinne sind aufs äußerste gespannt, um mehr von diesem ab-sonderlichen Gespräch zu erhaschen.
Da spricht der Bankier auch schon weiter: »Nichts, Brandi, oder nicht mehr, als daß ich kein Schiff versichere, von dem ich nicht sicher
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