Unterm Messer
idiotisch. Zum Glück steht er wenigstens nicht auf Frauen.
Ich sitze im kleinen Fiat und starre nach draußen. Simatschek hat mir befohlen, sitzen zu bleiben und ja nicht zu fotografieren. Er hat kurz überlegt, mich im Auto einzusperren, dann aber doch gesagt: „Wirst schon nicht davonlaufen.“ Ich sehe die Rücken von Spurensicherern in weißen Overalls, eigenartig beleuchtet von den Scheinwerfern der Polizeiautos. Flaches helles Licht. Ich bin gute zwanzig Meter vom Tatort entfernt. Ich sehe den Gerichtsmediziner mit Knobloch reden. Dann schauen beide zu mir herüber. Dann sehen sie wieder weg. Keine Chance, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. Wenig später beugt sich Simatschek über den Toten. Ich kann nur den Umriss von Schilling erkennen. Er liegt am Rand einer kleinen Wiese, hinter ihm ein altes Kreuz mit einer Inschrift, die ich von hier aus nicht entziffern kann. Zeichen der Volksfrömmigkeit vergangener Jahrhunderte. Wie passend. Er muss sich hier mit jemandem getroffen haben. Natalie Veith. Ich habe keine Telefonnummer von ihr. Ich bräuchte meinen Laptop. Das Mobiltelefon habe ich allerdings. Hat der Gerichtsmediziner nur vergessen, es mir abzunehmen? Oder wollte er mir eine Chance geben? Ich schicke Vesna eine SMS.
„Fahr bitte nach Wien. Versuch zu klären, wo Natalie Veith ist. Institut heißt Genetic Research Austria GRA. Erzähl ihr, was Schilling heute über sie gesagt hat. Danach, dass er tot ist. Oder nicht? Entscheide du. Sitze im Auto, darf nicht raus, muss warten.“
Draußen leuchten ein paar zusätzliche Scheinwerfer auf. Die Spurensicherer in ihren weißen Overalls wirken wie fette Maden. Da kommt Vesnas Antwort: „Okay.“ Manchmal nervt mich ihre knappe Art schon. Ich hatte gehofft, sie würde mir etwas Mut zusprechen.
Es vergeht eine gute halbe Stunde, in der meine Gedanken Abfangen spielen. Uber Genforschung weiß ich mehr als Vesna, es wäre besser, ich rede mit Natalie Veith. Doch ich darf nicht weg. Eigentlich ist doch klar, dass ich nicht wirklich unter Verdacht stehen kann. Knobloch hat die Fotos vom Kellerlabor noch nicht gesehen. Jetzt liegt es auf der Hand, dass sie in die nächste ,Magazin‘-Story kommen. Der Leiter des Labors ist ermordet worden. Dumm, dass die nächste Ausgabe erst in einer Woche erscheint. - Was, wenn sein Tod mit unserem Treffen zu tun hat? Wie könnte das Zusammenhängen? So viele lose Fäden ... Wenn jemand glaubt, dass Schilling uns etwas erzählt hat, etwas verraten hat oder vorgehabt hat, es noch zu tun ... Wir waren viel zu leichtsinnig. Haben nicht erkannt, dass die tote Nonne nur ein kleiner Teil der Geschichte ist. Oder ist es genau umgekehrt? Ist alles viel simpler und der Rest herum nur Staffage? Mir wird kalt. Ich habe keinen Grund, hier sitzen zu bleiben. Karl Simatschek ist bloß Gerichtsmediziner, kein Polizeibeamter, der mir irgendwas befehlen kann. Und was dann? Wo sollte ich hin? Den Weg hinunter. Und sehen ... Ich drehe mich um, versuche abzuschätzen, wie weit es von hier ins Dorf ist. Traue ich mich zum Weingartenhäuschen? Warum hat Simatschek zu Vesna gesagt, dass sie weg soll von dort? Weiß er mehr? Ich schrecke zusammen, als die Autotür aufgeht. Nicht der Gerichtsmediziner, sondern Knobloch sieht mich an. Dann seufzt er und nimmt auf dem Fahrersitz Platz.
„Sie haben Dr. Peter Schilling also heute Nachmittag getroffen?“
Ich nicke und erzähle so detailgetreu wie möglich. Knobloch schreibt nicht mit, er scheint auch kein Aufnahmegerät laufen zu haben. Es sieht fast so aus, als würde es ihn nicht besonders interessieren, was ich ihm sage.
„Haben Sie mit der Nonne über dieses Treffen gesprochen?“
Ich schüttle den Kopf. Ich weiß nicht, was er immer mit Schwester Gabriela hat.
„Wann haben Sie die Nonne zum letzten Mal gesehen?“ Vorgestern Nacht, als Vesna sie im Labor überrascht hat. Soll ich Knobloch davon berichten? Eigentlich ist es schon seltsam: Was hat sie wirklich dort gemacht? Kann es sein, dass sie uns an der Nase herumgeführt hat? Wer traut alten Nonnen schon etwas Böses zu?
„Sie wissen es nicht mehr oder wollen Sie es nicht sagen?“, stößt Knobloch nach.
„Ich habe nachdenken müssen. Es war vorgestern am Vormittag. Ich bin zu ihr gegangen, um mit ihr über den Tod ihrer Mitschwester zu reden.“
„Sie sind sicher?“
„Ja.“ Selbst wenn die Nonne mehr über den Fall wissen sollte, als wir vermuten: Gefährlich wird sie uns wohl kaum. Schilling ist tot. Vielleicht erzählt sie
Weitere Kostenlose Bücher