Unterm Messer
nicht dabei. Vielleicht ist unter den Zufahrtstoren für Lkw eines, durch das man hineinfahren und in die Halle gelangen kann. Ich muss einem Gabelstapler ausweichen. Hier werden die Pakete fertig gemacht. Mehrere Frauen versehen Kartons mit Lieferetiketten und schlichten sie in größere Kartons. Die Verpackung kommt mir bekannt vor. Lagern nicht genau solche Kisten im Keller der ,Beauty Oasis‘ , im Raum vor dem Labor? Warum auch nicht? Es ist kein Geheimnis, dass diese Fabrik Teil des Grünwald’schen Schönheitsimperiums ist. Und dann habe ich eine Fata Morgana. Es kann nichts anderes sein. Ich sehe wieder nach oben in den Glaskobel — die beiden Männer stehen noch immer da. Trotzdem, ich scheine langsam überzuschnappen. Ich sehe wieder auf die Verpackungsspezialistinnen. Eine von ihnen hebt gerade einen kleinen in einen größeren Karton. Die drahtige Frau mit der durchsichtigen Haube auf dem Kopf ist tatsächlich Vesna. Ich zwinge mich, sofort wieder wegzusehen. Was macht sie hier? Warum ist sie nicht in Wien? Warum hat sie mir nicht einmal eine SMS geschickt? Anders betrachtet: Es scheint ihr gut zu gehen. Es ist ihr nichts geschehen.
Die Empfangsdame geht vor mir die Treppe hinauf, Vesna winkt verstohlen. Auf ihre Geschichte bin ich jedenfalls gespannt.
Wir kommen durch ein gläsernes Sekretariat in den Raum des Geschäftsführers. Neben ihm mein Salvadorianer. Erinnert er sich an mich? Wir haben uns eigentlich nur im Schokoparadies gesehen. Oder hat er heute bemerkt, dass ich hinter ihm hergefahren bin? Dass auch ich in der ,Beauty Oasis‘ war? Und was, wenn Professor Grünwald Fotos verteilt hat: WANTED! MIRA VALENSKY, JOURNALISTIN. Wenn es wahr ist, was Droch herausgefunden hat, dann habe ich es hier mit dem Handlanger eines ultrarechten mittelamerikanischen Großgrundbesitzers, Politikers und Industriellen zu tun. Könnte sein, dass die nicht zimperlich sind, wenn ihnen jemand zu neugierig wird. Aber mit Vesna einen Stock tiefer und jeder Menge Menschen in der Produktionshalle bin ich deutlich mutiger als alleine in der Nacht. Der Mann aus El Salvador mustert mich. Ich kann einfach nicht einschätzen, ob er mich erkennt. Dann sagt er mit rollendem spanischem Akzent zum Geschäftsführer: „Wir bleiben in Verbindung.“ Es klingt irgendwie nach Drohung. Er geht grußlos an mir vorbei, die Treppe hinunter. Besonders höflich ist der Typ jedenfalls nicht.
Mein Gespräch mit dem Geschäftsführer von „Beauty&Young“ verläuft leider genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Er hört sich misstrauisch an, was ich ihm erzähle, und will meinen Presseausweis sehen. Nachdem er ihn begutachtet hat, wirft er der freundlichen Empfangsdame einen äußerst unfreundlichen Blick zu. Am liebsten würde er mich in einen Sack stecken und, ohne dass ich auch nur einen weiteren Blick auf seine heiligen Hallen werfen kann, hinauskatapultieren. Ganz klar: Ich hätte den Lateinamerikaner nicht sehen sollen. Und Professor Grünwald dürfte Order gegeben haben, auf keinen Fall mit mir zu reden. Ist ja beinahe schön, so wichtig zu sein. Es tue ihm sehr leid, murmelt der Geschäftsführer dann, ohne Voranmeldung sei es nicht möglich, den Betrieb zu besichtigen. Hygienepolizeiliche Auflagen, strikte Produktionsabläufe, Verschwiegenheitspflicht. Ich nicke verständnisvoll. Ich habe ja ohnehin schon so einiges gesehen. Und ich kann davon ausgehen, dass Vesna versuchen wird, ins Labor zu kommen. Könnte gut sein, dass man es vor Kurzem mit Elektronenmikroskopen und anderem Hightech aufgerüstet hat. Wäre eigentlich ein Grund für den Geschäftsführer, glücklich auszusehen. Tut er allerdings nicht. Nicht im Geringsten.
Ich steige in mein Auto, sehe mich genau um. Auf diesem Gelände merken auch Nichtprofis wie ich, wenn sie verfolgt werden. Große Parkplatzfläche, überschaubar. Keiner zu sehen, kein Wagen wird gestartet. Ich fahre nicht in Richtung Bundesstraße, sondern folge eine Zeit lang der Nebenstraße. Keine Ahnung, wo ich hier hinkomme. Ich bleibe am Straßenrand stehen und schalte mein Navi ein. Wenn ich mich nicht täusche, müsste ich nach ein paar Hügeln ungefähr auf der Höhe der ,Beauty Oasis‘ sein. Ich könnte an der Schönheitsklinik vorbeifahren und dann endlich wirklich Richtung Autobahn. Dumm ist nur, dass die Polizei wohl inzwischen mit Natalie Veith gesprochen hat. Oder fixieren sie sich tatsächlich auf die These „Ritualmord“? Wäre für Grünwald jedenfalls die angenehmste Variante.
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