Untreu
durch die Glastür auf die laute Straße. Seit Jahren wurde ihnen ein besseres Bürogebäude in einer ansprechenderen Gegend versprochen, das sich angeblich schon im Bau befand. Aber Mona eilte es damit nicht, obwohl das Dezernat 11 mit seinen grün lackierten Wänden, seinen engen labyrinthhaften Gängen und trostlos kleinen Schuhkarton-Büros eigentlich eine Zumutung war. Aber sie mochte die Straßen rund um den Hauptbahnhof, die griechischen, türkischen und bayerischen Imbisse, die Sex-Shops, Striplokale und Stundenhotels, die Textil- und Elektroläden mit ihrer zweifelhaften Ware (zu Berghammers Standardwitzen gehörte der Ausspruch, dass das kriminelle Potenzial dieses Viertels die Anwesenheit einer zentralen polizeilichen Dienststelle mehr als rechtfertige). Andererseits erinnerte sie das Viertel an Anton und seine Geschäfte.
Manchmal träumte Mona von einem Leben, das ihr mehr Wahlmöglichkeiten ließ, als dieses. Manchmal schätzte sie sich glücklich, dass alles so gekommen war. Sie hatte nicht gerade viele Alternativen gehabt. Sie hatte wahrscheinlich das Beste draus gemacht.
Fischer und sie bahnten sich einen Weg durch das mittägliche Gewühl. Der Himmel war bedeckt, aber es regnete nicht mehr. Dafür war es noch kälter geworden, vielleicht acht, neun Grad. Mona dachte daran, dass sie nach ihrem Urlaub noch nicht einmal dazu gekommen war, ihre Sachen zu waschen. Dass sie unbedingt bei Lukas' Vertrauenslehrerin anrufen musste. Dass Lukas heute nicht mehr bei Anton schlafen durfte, damit diese Regelung nicht zum Dauerzustand wurde (denn was wäre, wenn Anton zum zweiten Mal verhaftet würde? Wie sollte Lukas das verkraften, wenn er nur ein Heim kannte - nämlich Antons Wohnung?).
Sie würde also Lukas heute Nachmittag um halb fünf aus dem Hort abholen, und dann würden sie gemeinsam nach Hause (
ihre
Wohnung) fahren. Sie würde in Windeseile aufräumen und ihre Sachen in die Waschmaschine packen. Dann würde sie mit Lukas gemeinsam einkaufen gehen, weil er das gern tat. Oder sollten sie schon vorher einkaufen und dann aufräumen, während Lukas sich vor dem Fernseher entspannte?
Ja, das war wahrscheinlich die bessere Lösung. Lukas würde fernsehen, sie würde Ordnung machen und kochen, und gegen halb acht würden sie zu Abend essen. Der einzige Abend in der Woche, an dem das immer möglich war. Sie hatte sich diesen einen Abend bei Berghammer ausbedungen - egal, was im Büro los war. Dieser Abend - ein Mittwoch - gehörte Lukas ganz allein. Sie hoffte, dass sich das durchhalten ließ. Die Regelung war erst ein halbes Jahr alt. Und wann immer es hoch herging, spürte sie die ungnädigen Blicke ihrer Kollegen, wenn sie sich früher als alle anderen verabschiedete,
um ihre Extrawurst zu braten.
»
Kebab mit viel Zwiebeln«, sagte Fischer zu einem jungen Mann mit dunklem Bartschatten auf den hageren Wangen.
»Zwei«, sagte Mona geistesabwesend.
»Fünf Euro zusammen.«
Sie zahlten und warteten vor der Glastheke. Schweigend sahen sie dem Verkäufer zu, wie er blitzschnell Lammstreifen vom Drehspieß absäbelte und geschickt das fette Fleisch, Tsatsiki, Zwiebeln und Tomaten im Fladen verstaute. Es herrschte Hochbetrieb, die Schwingtür ging ständig auf und zu. Jeder neue Kunde brachte einen Schwall frischer, feuchter Kaltluft mit.
»Zweimal Kebab, bitte sehr«, sagte der Verkäufer.
Sie stellten sich an einen der Stehtische im Lokal. Mona drückte Fischer ihre Portion in die Hand und holte sich einen Pappteller, Plastikbesteck und mehrere Servietten. Dabei fiel ihr Blick zufällig auf eine der verspiegelten Säulen. Sie sah eine Frau mit dunklen, schulterlangen Haaren und erhitztem Gesicht. Eine Frau, die noch leicht gebräunt war und dennoch schon wieder die vertrauten Augenringe hatte, die immer erst nach einer Woche Urlaub restlos verschwanden. Sie nahm Fischer ihr Kebab ab und legte es vor sich auf den Teller.
»Kebab isst man mit den Händen«, bemerkte Fischer mit vollem Mund. Seine Lippen waren beschmiert mit Tsatsiki.
»Ich nicht. Ich hab keine Lust, mir danach immer das Gesicht zu waschen.«
»Wenn man richtig abbeißt, muss man das auch nicht.«
»Ach ja? Dann schau dich doch mal an!«
Nach dem Geplänkel schwiegen sie, wie meistens, wenn sie zu zweit waren und nicht gerade Berufliches zu besprechen war. Mona fragte sich manchmal, ob es Fischer wohl etwas ausmachte, dass sie sich nichts zu sagen hatten. Fühlte er sich wohl dabei, in Gesellschaft einer Kollegin sein Kebab zu
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