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Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Titel: Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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dem Begriff der Demokratie zu »taktieren« beginnt, merkt eines Tages, dass er sich zu etwas verpflichtet hat.
    Die Russen sind auf die Faschisten nicht wirklich und nicht aufrichtig böse. Sie schelten sie, empfinden sie jedoch nicht als fremd. Fremd ist immer nur die andere Art Mensch, die weder Faschist noch Kommunist ist. Auf solche Leute sind sie wirklich böse.
    Gegen die Faschisten haben sie Krieg geführt, weil der deutsche Imperialismus, der in faschistischer Uniform steckte, sie zum Krieg gezwungen hatte. Die Faschisten werden von ihnen auch bekämpft, hie und da, solange sie Imperialisten sind. Der deutsche Faschismus hat den großen Fehler begangen, eine Rassentheorie aufzustellen: Die Russen sind weiser und nicht so engstirnig. Doch der Faschismus beziehungsweise das faschistische Menschen material ist für die Russen, sobald es keine imperialistische Gefahr mehr bedeutet, nicht länger hoffnungslos: Sie können es umerziehen, wissen etwas mit ihm anzufangen, es taugt dazu, sich mit ihm zu beschäftigen. Nicht so der aufrichtig antifaschistische Burschui, der im Faschismus wie im Kommunismus nur eine Manifestation des Terrors sieht … er ist der wirkliche Gegner. Die Russen wissen das.
    Eine Jüdin geht zu R. hinein, reißt sich die Bluse auf und zeigt ihm ihre Brust, auf die man in Auschwitz mit einem Brandeisen eine Zahl gebrannt hat. Und all die anderen, die jetzt aus der Deportation nach Hause kommen … und die Erinnerungen, die sie mitbringen!
    Welche Kraft kann diese Gemüter wohl befrieden? Welche Argumente? Es gibt keine solche Kraft. Aber es gibt eine Methode, die diesen gemarterten Herzen schließlich Frieden bringen kann; diese Methode heißt Bildung und Wohlstand.
    Aber Wohlstand ohne Bildung führt zum Terror – siehe Amerika in Zeiten der Trusts! –, und ohne Wohlstand gibt es keine richtige Bildung. Das ist der Weg, den wir einschlagen müssen, wenn wir Frieden wollen. Alles andere ist nur die Angelegenheit der Exekutive.
    Am Morgen lese ich in der Bibel, Jesaja 30, 9 – 10, über die Unverbesserlichkeit der Bewohner Jerusalems: »Denn sie sind ein ungehorsames Volk und verlogene Söhne, die nicht hören wollen die Weisung des HERRN …« Und: »sondern sie sagen zu den Sehern: ›Ihr sollt nicht sehen!‹, und zu den Schauenden: ›Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schaut, was das Herz begehrt!‹« Ja, es gibt Völker und Gesellschaften, die von den »Sehern« und »Schauenden« Schmeicheleien fordern und nicht dulden, dass ihnen die Wahrheit vorhergesehen wird … Doch diese Völker und Gesellschaften gehen gemeinsam mit ihren Sehern und Schauenden zugrunde, sie gehen früher zugrunde, als das Gesetz des Lebens es ihnen befehlen würde.
    Was immer mit den Deutschen geschieht: Die Waffen werden ihnen jetzt aus der Hand genommen und vernichtet. Die deutsche Waffe, die für jedes Volk auf die gleiche Weise gefährlich ist, ob sie von preußischen Junkern oder deutschen Kommunisten bedient wird. Die Russen können sich den Luxus, den Deutschen ihre Waffen zu lassen, genauso wenig leisten wie die Angelsachsen: Sie wissen, dass der deutsche Kommunist, sobald er eine Waffe in der Hand hat, nicht länger Kommunist ist, sondern Deutscher; und deshalb Lebensgefahr für sie bedeutet.
    Was bleibt noch in den Händen der Deutschen, wenn keine Waffen mehr? Die Kultur. Die einzige Antwort, die sie der wütenden Welt noch geben können. Deutsche Literatur, Musik, Wissenschaft: Das ist die Antwort. Sie müssen all ihre Kräfte hier vereinen, in den Arbeitszimmern der Kultur und nicht in Waffenfabriken und Kasernen. Wenn sie diese Antwort geben, dann antworten sie richtig, dann antworten sie auf viele heute schmerzhafte, brennende Fragen.
    Am frühen Morgen lese ich das Zwiegespräch zwischen Sokrates und Kriton , die letzten Worte, die sie in den Augenblicken vor der Exekution gewechselt haben. Es ist nicht sicher, dass Sokrates in diesen Momenten ruhig war. Vielmehr ist wahrscheinlich, dass auch er sich vor dem Tod fürchtete … weil er allzu viel vom Leben wusste. Er wusste, wie viel er verliert und wie klein die große Gewissheit ist, die er bekommt: das Nichts.
    Doch er war ein Mann, und er war weise, also bewahrte er »Haltung«. Er hatte Angst, doch ertrug er diese Angst wie ein Mensch. In den letzten Momenten vertrieb er Xanthippe , die Frauen und Kinder aus seiner Nähe … Männer sterben lieber allein, ohne wehklagende Zeugen. Das muss man erst

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