Valadas versinkende Gaerten
Sklavin, die uns um diese Stunde immer nach meiner Anweisung eine Erfrischung bringt, übersieht den Schachteppich zu ihren Füßen und stolpert. Granatapfelsaft ergießt sich aus einem Becher über den Boden. Nicht viel. Eine kleine rote Lache.
Und während das erschreckte Mädchen eine Entschuldigung stammelt und wegeilt, um den – geringen – Schaden zu beheben, geschieht etwas mit meiner Freundin.
Ich will den Vorfall ignorieren und wende mich ihr wieder zu. Aber Kasmuna scheint einen Moment wie versteinert. Sie starrt auf die Lache Granatapfelsaft und drückt dabei ihre Hände gegen die Narbe auf ihrer Brust, wie ich es schon öfter gesehen habe. Dann blickt sie auf und lächelt.
»Blut wollen wir hier überhaupt nicht haben«, bemerkt sie sanft.
Sie geht mit stolpernden Schritten zum Tisch, wo ich ihr einige kostbare Bücher habe bereitlegen lassen, falls sie doch einmal Lust auf eine Lektüre bekommen sollte.
Sie nimmt ein Buch, öffnet es, reißt es mit beiden Händenauf, wie man einen Stofffetzen auseinanderreißt, und presst zu meinem Entsetzen die offenen Seiten, eine feine Schreibarbeit aus Damaskus, mit farbigen Illustrationen verziert, auf die rote Lache.
»So, nun ist es weg!«, sagt sie. Ganz ruhig. Ganz klar.
Ich winke die entsetzte Sklavin, die gerade zurückkommt, um aufzuwischen, beiseite.
»Alles ist gut!«, sage ich und lächle sie an. Aber der Schrecken ist so heftig, dass meine Kehle wie zugeschnürt ist. –
Von nun an bin ich überzeugt, dass Kasmuna in einer Welt wohnt, die mit unserer nichts zu tun hat. Sie verwechselt Zeiten und Orte. Sie achtet kein Buch mehr.
Meine Geliebte ist verwirrt. So, wie sie es mir am ersten Tag selbst gesagt hat. »Verrückt« von ihrer Stelle. Aber ich wollte es nicht glauben.
Um sich nicht an das Entsetzliche erinnern zu müssen, das ihr zugestoßen ist und das sie mit eigenen Augen sehen musste, hat sie sich eine andere Wirklichkeit ausgedacht. Ich spiele, ich rede, ich wasche und tröste – jemanden, der nicht mehr bei uns weilt.
Kasmuna ist nicht zu Hause.
Soll ich ihr vom aufgefundenen Kalifen erzählen? Sie wird mit anderem wirren Zeug reagieren.
Ich habe plötzlich nicht mehr die Kraft, das zu ertragen.
»Gleich morgen Früh schicke ich nach Muhdja«, sage ich. »Damit du eine Partnerin beim Schach hast, die du nicht so leicht schlagen kannst wie mich.«
»Ja. Dafür danke ich dir.«
Sie blickt nicht auf zu mir, sondern ist nun vollauf beschäftigt, die Figuren für ein neues Spiel aufzustellen. Wahrscheinlich will sie gegen sich selbst spielen.
Gegen jemand anderen, der in den weiten Fernen und unter den Bogengängen ihres zerstörten Kopfs herumirrt und auf den sie zufällig stoßen wird . . .
KASMUNA.
Es hat mich gezerrt und gezogen hierher in dieses Haus, und nun weiß ich auch, warum.
Ich rede von keinem Gott, den habe ich gestrichen. So gleichgültig und grausam kann kein Gott sein. Irgendwo in den verschlungenen und gleichgültigen Wegen des Weltenlaufs hat sich durch Zufall, unberechenbar, ein Knoten gebildet, so wie sich vielleicht zufällig Wesenheiten zu etwas Neuem, anderem verbinden.
Und dieser Knoten, dieser Punkt verhieß mir, Kasmuna bint Ismael, noch einmal einen einzigen Moment der Wärme in der kalt und dunkel gewordenen Welt und riss mich vorwärts: Er löste sich in dem Augenblick, als Prinzessin Valadas Augen, die mich auf meiner Wanderschaft leiteten, beim Anblick dieser meiner Missgestalt aufleuchteten – in der Erkenntnis, wer in diesem Körper steckte –, und als sie anhub, das Gedicht zu sprechen. Als sie mich, das verkörperte Elend, eigenhändig im Bad wusch, strahlend vor Glück, mich wiederzuhaben, gleich, in welchem Zustand. Nass klebten ihr die Kleider am Leib, sie streichelte mich.
Da war ich für einen Augenblick erlöst.
Als ich danach einschlief, da wäre es gut gewesen, nicht wieder aufzuwachen . . .
Nun sitze ich hier und spiele Schach.
Schach ist gut, man muss an nichts anderes denken, und die Bilder im Kopf, die immer präsent sind, verblassen etwas.
Aber: Schach, das Spiel, das ich einst geliebt habe, ist lächerlich. Es ist ein Spiel, das dir vormachen will, Menschen würden mit Vernunft und Voraussicht handeln und das Schicksal bestimmen. Aber das ist eine Lüge. Vernunft und Voraussicht haben keine Chance in der Welt. Sie kommen nicht an gegen das Dunkle.
Trotzdem. Es ist eine Beschäftigung.
Da riskiere ich es eben, auch noch Muhdja durch meine Gegenwart zu
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