Valadas versinkende Gaerten
anderes.
Valada kommt mir entgegen mit wehenden Kleidern. Ihr Haar ist aufgelöst, und ihre Augen sind blaue Flammen.
»In Granada ist etwas Schreckliches geschehen!«, ruft sie mir schon aus der Entfernung zu.
Ich sehe, dass im Mailis Ismael Ibn Jeschulla, Kasmunas Vater, an der Wand lehnt; sein Gewand ist am Saum zerrissen und sein Gesicht mit Asche bestreut – er ist in Trauer. Neben ihm ein junger Jude, an dessen Kaftan Brandflecke sind. Bestaubte Schuhe, verschmutzte Kopfbinde und ein Blick, der durch alles hindurchgeht.
Valada stürzt sich auf den jungen Mann, fasst ihn am Kleid, rüttelt ihn. »Sag es noch einmal! Nein, sag, dass es nicht wahr ist!«, gibt sie ihm zur gleichen Zeit zwei widersprechende Befehle.
Der junge Mann öffnet den Mund, aber er bringt kein Wort heraus. Er beginnt zu zittern.
»Erlauchte Sayyida!«, mischt sich jetzt Ibn Jeschulla ein. Ich sehe, wie er versucht, seine Fassung zu bewahren. »Ich habe diesen Boten nur als Zeugen mitgebracht für die entsetzliche Wahrheit. Erlasst es ihm, das Grauen zu wiederholen.« Er wendet sich an mich. »Ich dachte, ich sei es der Herrin, der besten Freundin meiner Tochter, schuldig, dass sie als Erste erfährt, was sich in Granada zugetragen hat. Dieser junge Mann ist mit einer Handvoll anderer durch den Beistand des Allmächtigen dem Tod entkommen und hat die Nachricht in mein Haus gebracht.
Dem Schöpfer der Welten hat es gefallen, sein erwähltesVolk einer harten Prüfung zu unterziehen. In Granada ist der Nagid ha Negidim, der Fürst Israels, Joseph Ibn Nagrella, wie ein Stück Vieh abgeschlachtet worden. Mit ihm sein Hofstaat und seine Vertrauten. Alsdann ging das Morden in der Judenstadt weiter. Noch hat keiner die Leichen gezählt.«
Es fällt ihm schwer, weiterzusprechen. Er verbirgt die Augen hinter der Hand.
In der lastenden Stille höre ich mich leise fragen: »Wer hat das getan?«
»Die von ganz unten, so sagt er hier.« Der alte Mann deutet auf den Boten. »All die Armen und Unzufriedenen der Stadt, verführt und zum Abschaum gemacht, Muslime und Christen gemeinsam. Wer vor kurzem noch der gute Nachbar eines Juden war, erschlug ihn nun und raubte seine Truhen und Kästen aus. Wer gestern noch die heranwachsende Tochter seines hebräischen Nachbarn wegen ihrer Züchtigkeit lobte, tat ihr am nächsten Tag Gewalt an auf der Schwelle ihres eigenen Hauses. Ganze Gassen wurden niedergebrannt. Das Leid schreit zum Himmel.«
Die Prinzessin hebt die Arme wie ein Vogel, der davonfliegen will – eine Geste des Zorns und der Hilflosigkeit.
»Kasmuna!«, drängt sie. »Redet von Eurer Tochter! Was wisst Ihr von Kasmuna?« Wieder wendet sie sich an den verstörten jungen Menschen. »Was weißt du von der Tochter dieses ehrwürdigen Mannes? Hast du Nachricht von ihr? Wo war sie, und wo ist sie jetzt?«
Der Befragte bricht in Tränen aus. Die Schilderung des Ibn Jeschulla hat nun doch die Bilder des Schreckens in seinem Kopf zu neuem Leben erweckt. Er lässt sich zu Boden sinken, dreht das Gesicht zur Wand, hockt da, als wolle er nicht mehr vorhanden sein. Sein Schluchzen wird zu einem leisen Heulen, wie das eines verlassenen Hundes.
Jeschulla geht hin und beugt sich zu ihm herab, spricht leise auf Hebräisch auf ihn ein.
Dann hebt er die Augen zu Valada und sagt ruhig: »Meine Tochter war im Haus meines Schwagers, und dieser hatte Wohnung in der Nähe der Residenz des Nagid über der Stadt. Wenn wirklich alles erschlagen wurde, was sich dort oben befand, so besteht geringe Hoffnung, dass wir sie lebend wiedersehen. Ihr Angedenken sei gesegnet.«
Er ringt um Fassung, schluckt. »Und nun, erlauchte Herrin, entlasst mich. Ich habe eine Familie daheim, der ich versuchen muss, Trost zu spenden, wenn ich auch noch nicht weiß, wie ich es anstellen soll. Diesen Unglücksboten nehme ich mit mir. Er soll in meinem Haus Ruhe finden.«
Er hilft dem Hockenden auf, hält ihn im Arm, verneigt sich.
Meine Prinzessin sieht ihn an, die Augen voll Verzweiflung. »Aber . . . aber es gibt doch Hoffnung, nicht wahr? Sagt mir, dass es Hoffnung gibt!«
»Der Ewige tut Wunder, Sayyida. Hofft auf das Wunder, wir werden es auch tun und noch keine Trauerwoche abhalten. Wir werden beten und auf weitere Nachrichten warten.«
Als die beiden gegangen sind, stürzt sich Valada auf mich, reißt mich in ihre Arme, als sei sie am Ertrinken und ich das sie rettende Holzstück, sich daran festzuklammern.
»Es ist nicht wahr! Es kann nicht wahr sein!«,
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