Vampire Academy 03 ● Schattenträume
sie gelassen und schön. Aber während sie sprach und genau beschrieb, wie Victors Handlanger sie gefoltert hatte, durchlebte sie noch einmal den Schmerz und das Grauen jener Nacht. Der Mann war ein Luftbenutzer gewesen. Er hatte mit diesem Element gespielt und ihr die Luft manchmal entzogen, sodass sie nicht atmen konnte, und dann wieder hatte er sie damit beinahe erstickt. Es war furchtbar gewesen, ich hatte es zur gleichen Zeit wie Lissa erlebt. Tatsächlich erlebte ich es jetzt noch einmal mit ihr, während sie im Zeugenstand über die Ereignisse sprach. Jedes schmerzhafte Detail hatte sich in ihren Geist eingebrannt, der Schmerz überflutete uns beide. So war ich mit ihr erleichtert, als sie mit ihrer Aussage fertig war.
Zu guter Letzt kam Victor an die Reihe. Dem Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu urteilen, hätte man nie erraten, dass er vor Gericht stand. Er war nicht wütend oder entrüstet. Er wirkte auch nicht zerknirscht. Er flehte nicht. Er sah aus, als machten wir uns alle irgendwo einen gemütlichen Tag, als gäbe es nichts auf der Welt, worum er sich Sorgen machen musste. Irgendwie ließ mich das noch viel wütender werden.
Selbst wenn er antwortete, sprach er so, als ergäben seine Worte einen eindeutigen Sinn. Als die Vertretung der Anklage fragte, warum er getan habe, was er getan hatte, sah er sie an, als sei sie verrückt.
„Nun, ich hatte keine andere Wahl”, erwiderte er freundlich. „Ich starb. Niemand hätte gestattet, dass ich offen mit den Kräften der Prinzessin experimentiere. Was hätten Sie an meiner Stelle getan?”
Die Klagevertreterin ignorierte diesen Einwand. Sie hatte Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie angewidert sie war. „Und Sie fanden es auch notwendig, Ihre eigene Tochter dazu zu überreden, eine Strigoi zu werden?”
Alle Anwesenden im Gerichtssaal rutschten unbehaglich auf ihren Plätzen hin und her. Eins der schrecklichsten Dinge an Strigoi war die Tatsache, dass sie gemacht wurden, nicht geboren. Ein Strigoi konnte einen Menschen, einen Dhampir oder einen Moroi dazu zwingen, selber zum Strigoi zu werden, wenn der Strigoi das Blut des Opfers trank und sein eigenes Blut dann dem Opfer einflößte. Es spielte keine Rolle, ob das Opfer dies wollte oder nicht, und nachdem es erst einmal zum Strigoi geworden war, verlor es jedes Gefühl für Recht und Unrecht. Es wurde zu einem Ungeheuer und tötete andere, um zu überleben. Strigoi wandelten andere um, wenn sie jemanden fanden, von dem sie glaubten, er könne ihre Reihen stärken. Manchmal taten sie es auch nur aus bloßer Grausamkeit.
Es gab noch eine andere Möglichkeit, zum Strigoi zu werden: wenn ein Moroi sich aus freien Stücken dafür entschied, eine andere Person zu töten, indem er oder sie sein Blut trank. Dadurch tötete dieser Moroi alle Magie und alles Leben in sich selbst ab. Christians Eltern hatten das getan, weil sie ungeachtet des Preises unsterblich sein wollten. Victors Tochter Nathalie hatte es getan, weil er sie dazu überredet hatte. Nur dank der Stärke und Schnelligkeit, die ihr das verschafft hatte, war sie in der Lage gewesen, Victor kurzfristig zu befreien, und er hatte das Gefühl gehabt, seine Ziele seien das Opfer wert.
Wieder zeigte Victor keine Reue. Seine Antwort war simpel. „Diese Entscheidung hat allein Nathalie getroffen.”
„Können Sie das von jedem sagen, den Sie benutzt haben, um Ihre Ziele zu verfolgen? Wächter Belikov und Miss Hathaway hatten bei dem, wozu Sie sie gebracht haben, kein Mitspracherecht.”
Victor kicherte. „Nun, das ist Ansichtssache. Ich glaube wirklich nicht, dass es ihnen etwas ausgemacht hat. Aber wenn Sie nach diesem Fall noch Zeit haben, Euer Ehren, könnten Sie vielleicht in Betracht ziehen, noch einen weiteren Fall von Vergewaltigung einer Minderjährigen zu verhandeln.”
Ich erstarrte. Er hatte es getan. Er hatte es wirklich getan. Ich erwartete, dass alle Anwesenden im Saal sich umdrehen und auf Dimitri und mich zeigen würden. Aber es blickte nicht einmal jemand in unsere Richtung. Die meisten Leute musterten Victor angewidert.
Mir wurde klar, dass Victor genau gewusst hatte, dass dies geschehen würde. Er wollte uns lediglich aufziehen; er erwartete nicht einmal, dass ihn irgendjemand ernst nehmen würde. Lissas Gefühle durch das Band bestätigten diesen Eindruck. Sie hatte das Gefühl, dass Victor versuchte, von sich abzulenken, indem er Geschichten über Dimitri und mich erfand. Es entsetzte sie, dass Victor so tief sinken
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