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Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Titel: Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Fröhling
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Papi dabei ist, traut sich die Mutter meist gar nicht erst. Der hat keine Angst vor ihr. Der macht sich sogar über sie lustig. Bei der Mutter muss immer alles perfekt sein. Das gehört sich so in einer Bankdirektorsfamilie, sagt sie. Das ist schließlich etwas Besonderes, und da muss man sich auch standesgemäß benehmen. Messer und Gabel müssen rechts und links vom Teller liegen und zwar so, dass die Enden der Griffe exakt mit der Tischkante abschließen, wenn man genau senkrecht von oben daraufschaut. Am besten hält man das große, lange, biegsame Lineal gegen den Tisch und schiebt Messer und Gabel so lange zurecht, bis sie richtig liegen. Weder dürfen sie über die Tischkante hinausragen, noch darf man ein Stückchen vom weißen Tischtuch sehen. Oder es setzt was.
    Aber eben nur einmal.
    Die Löffel müssen oben vor den Tellern liegen, die Griffe nach rechts. Der Abstand zwischen Teller und Löffel muss genauso groß sein wie der vom Teller zur Gabel und zum Messer. Da kann man kein Lineal zu Hilfe nehmen, sondern muss schätzen. Meistens verschätzt man sich. Das erfährt man dann schon. Eier darf man auf keinen Fall, niemals, unter keinen Umständen mit dem Messer öffnen, sondern muss sie vorsichtig mit dem Eierlöffel aufklopfen.
    Heute ist nicht nur Geburtstag, sondern auch Karfreitag. Das ist besonders schön, hat die Mutter gesagt. Warum, hat sie aber nicht gesagt. Und der Papi war heute Morgen schon richtig fröhlich, er griff sich das Ei und haute ihm mit dem Messer den Kopf ab. Dabei tröpfelte Eigelb auf das Tischtuch. Das war klasse! Die Mutter tobte natürlich, schimpfte und nörgelte schließlich so lange an ihm herum, bis seine gute Laune verschwand, seine schwarzen Brauen sich zusammenzogen und sein hageres Gesicht dunkel wurde. Als sie ihn so weit hatte, schmiss er seine Serviette auf den Tisch, so dass ein Zipfel davon in das Milchkännchen fiel, und sagte: »Komm, Angela, Angelina, mein Engelchen, wir gehen.«
    Und seine Tochter lachte aufgeregt, griff nach seiner Hand und freute sich, dass sie ihren wundervollen Papi jetzt ganz für sich allein haben konnte. Denn wenn er Angelina zu ihr sagte, wollte er immer mit ihr allein sein. Das war schön, denn er war der beste Vater der Welt.
    Und sie haben bestimmt etwas Großartiges gemacht. Leider weiß sie nicht mehr, was es gewesen ist. Aber das macht nichts, denn jetzt sind sie ja wieder zu Hause, und gleich sollen ihre Geburtstagsgäste kommen. Da wird es Geschenke und spannende Spiele geben. Hoffentlich kann sie sich diesmal merken, was für Spiele das sind. Die Mutter hat in der Küche schon die Schnittchen fertiggemacht, Wein und Bier kalt gestellt, und jetzt schlägt sie im Wohnzimmer die Sofakissen zurecht.
    »Komm, Engelchen«, sagt der Papi, »wir naschen.« Gemeinsam schleichen sie in die Küche, schließen leise die Tür hinter sich, stibitzen die Deckel von den mit Fleischsalat gefüllten Tomaten und zupfen Käse vom Käseigel. Als sie sich beide gerade eine dicke Spargelstange in den Mund stopfen, die mit Mayonnaise bestrichen und in gekochten Schinken gewickelt ist, reißt die Mutter die Küchentür auf, haut ihrer Tochter eine runter – so schnell, dass diese nicht mehr ausweichen kann – und keift auf den Papi ein. Ein Waschlappen sei er, ein weichlicher Schlappschwanz, ein jämmerlicher Versager, ein pubertärer Nichtsnutz. Ein schwaches Weib. Und noch mehr. Aber das stimmt natürlich alles überhaupt nicht, denn in Wirklichkeit ist er der beste Papi der Welt.
    Aber da stehen auf einmal ihre Geburtstagsgäste im Flur. Woher sind die nur so plötzlich gekommen? Es hat doch gar nicht geklingelt.
    Und die Mutter kommt aus dem Bad – dabei war sie doch eben noch in der Küche –, und als sie aus dem Bad kommt, sind Lippenstift, Rouge, Wimperntusche und vor allem ihre Stimme wieder wie neu. Liebenswürdig empfängt sie die Geschäftsfreunde ihres Mannes, nimmt ihnen die Mäntel ab, erkundigt sich nach ihrem Befinden, plaudert ein wenig, zeigt ihnen die Schnittchen, holt das Silbertablett, auf dem ein feines besticktes Deckchen liegt, stellt vier gefüllte Sherrygläser aus Bleikristall darauf und bietet sie mit freundlichem Lächeln ihren Gästen an.
    Dann wählt sie noch eine Schallplatte aus, legt sie auf den Plattenteller und reguliert die Lautstärke, bis Paul Kuhn nicht zu laut, aber auch nicht zu leise, eben gerade richtig, mit seiner weichen Stimme singt: »Jeden Tag, da lieb ich dich ein kleines bisschen

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