Veni, Vidi, Gucci
Kleidergröße XL aussieht. (Offensichtlich sollte Schritt drei auch eine Diät beinhalten, aber Richard ist nur drei Tage weg, und ich bezweifle, dass ich in so kurzer Zeit zehn Kilo oder mehr abnehmen kann. Realistisch betrachtet, muss ich mich damit begnügen, mein Übergewicht mit der richtigen Kleidung zu kaschieren.)
Und schließlich Schritt fünf: Ich muss wieder Anschluss an die Außenwelt finden – jedenfalls zumindest an die Welt der Arlington-Road-Grundschule. Aber, wenn wir ehrlich sind, was gibt es schon für eine andere Welt? Das Treffen der Elterninitiative morgen wird der erste Schritt sein, um mein neues, proaktives Leben anzutesten.
Ich weiß, es hat zwar lange gedauert, aber jetzt bin ich bereit zu großen Veränderungen. Ich bin es leid, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, wie ich in dieses tiefe Loch fallen konnte. Ab jetzt lautet mein oberstes Ziel, endlich wieder herauszukriechen.
Natasha, du hast ja keine Ahnung, was du ins Rollen gebracht hast!
7
F alls Cassie sich über mein Erscheinen wundert, lässt sie sich das nicht anmerken. Aber vielleicht hat sie mich noch gar nicht erspäht. Mit mir haben sich ungefähr zwanzig Mütter im Speisesaal der Schule versammelt, dessen Wände mit lauter Bildern geschmückt sind. Am Tisch wird in gedämpftem Ton geplaudert. Natasha sitzt neben mir und sieht aus, als käme sie direkt von der Paris Fashion Week. Sie ist heute ganz in Weiß gekleidet – sie trägt einen bauschigen Zigeunerrock, unter dem sich jetzt ihre langen Beine abzeichnen, und ein dazu passendes Oberteil mit angeschnittenen Ärmeln, die mit Blümchen bestickt sind. Sie hat ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und sieht damit aus wie fünfzehn – zwar wie eine sorgfältig geschminkte Fünfzehnjährige, aber das Make-up steht ihr. Es ist nicht übertrieben.
Ich habe mir an Natasha ein Beispiel genommen und heute mal Lippenstift aufgetragen. Ich fühle mich wie verwandelt. Na schön, aber jedenfalls irgendwie besser. Dabei ist der einzige Unterschied zu gestern, dass meine Lippen eine Nuance dunkler sind, was jedoch ohnehin niemandem auffällt, also was soll’s? Manchmal sind auch kleine Schritte wichtig. Der Umstand, dass ich überhaupt hier bin - ganz zu schweigen von der Farbe auf meinen Lippen –, ist der Beweis für mein neues Denken, und ich bin richtig stolz auf mich.
In diesem Augenblick klatscht Cassie laut in die Hände. »So, ich sehe heute einige neue Gesichter in unserem Kreis, was ganz wundervoll ist. Die AREI wäre nämlich nichts ohne Ihre Unterstützung, und Ihr zahlreiches Erscheinen drückt Ihre Bereitschaft aus, für die Schule Geld zu sammeln, das so dringend benötigt wird.«
Sie sagt das, als wäre sie Bob Geldof und wir Band Aid und unsere Sprösslinge hungernde, mit Fliegen übersäte Afrikanerkinder.
Sitzen Sie nicht untätig herum! Geben Sie uns Ihr verdammtes Geld!
Dann wendet Cassie den Kopf zu Annabel, das Stichwort für Warzennase, sich zu erheben und das Wort zu ergreifen. »Vielen Dank, Cassie. Nun, es gibt auch in diesem Jahr eine Menge zu tun, wenn der Herbstbasar wieder ein großer Erfolg werden soll. Wenn ich also zu schnell bin und bereits von der Weihnachtsaufführung anfange, dürfen Sie mich getrost unterbrechen!«
War das ein Witz? Ich lache, weil alle anderen das ebenfalls tun.
Anpassen, Fran.
Natasha beugt sich zu mir und flüstert: »Wenn sie wieder von irgendwelchen dämlichen Hüten anfängt, dann bringe ich sie um.«
Ich lächle und spüre eine leise Wärme in mir. Zum ersten Mal befinde ich mich im Kreis der Arlington-Mütter. Und nicht nur das, ich bin sogar mit einer Freundin hier. Das ist die bestmögliche Welt.
Das Erstaunlichste daran ist jedoch, dass ich mich richtig gut fühle, und das an einem Punkt in meinem Leben, den man nur als absoluten Tiefpunkt bezeichnen kann. Aber vielleicht ja nicht mehr lange. Vielleicht bin ich schon wieder auf dem Weg nach oben. Vielleicht tauche ich langsam immer höher, durchbreche schließlich die Wasseroberfläche und schnappe gierig nach frischer –
Um mich herum schießen plötzlich Hände in die Höhe, auch die Hand von Natasha. Verdammt . Was habe ich verpasst? Ich habe nämlich nicht zugehört – schließlich war ich mit meiner Selbstanalyse beschäftigt. Ich spüre Blicke auf mir und hebe rasch den Arm. Aber wofür melde ich mich überhaupt freiwillig? Zum Kloputzen? Für das Exekutionskommando? Wen kümmert es? Ich bin dabei. Ich gehöre jetzt dazu, und
Weitere Kostenlose Bücher