Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
die ihm diese Fahrt ersparte.
Er fühlte sich, als ob er den Autostrich ansteuere.
Der Parkplatz war ziemlich voll, vermutlich der Lokale wegen, von denen sich immer neue auftaten in der Hafengegend.
Philip Perak fand den Aston Martin erst, als er das eigene Auto geparkt hatte und ausgestiegen war.
Die Saphirblaue arbeitete also noch.
Perak stellte sich neben den Aston. Er wagte nicht, sich in seinen Wagen zu setzen, zu schlecht war die Sicht, die er von ihm aus hatte. Er stand da und sah den Leuten zu, die in seine Nähe kamen, in Autos stiegen, davonfuhren.
Irgendwann parkte er den Daimler um und kam neben dem Aston Martin zu stehen. Konnte sich nun endlich den Blicken entziehen, die man einem Mann gab, der einsam auf einem Parkplatz stand und nicht nach dem Weg fragte und nach keinem Überbrückungskabel.
Gegen zwei Uhr schreckte er aus einem kurzen Schlaf und glaubte, die Saphirblaue zu sehen. Gloria, die lächelnd auf ihn zukam. Doch je näher sie kam, desto weniger klar waren ihre Umrisse und nach Sekunden hatte sie sich aufgelöst.
Perak versuchte, wach zu werden. Ihm war kalt.
Der Aston Martin stand unberührt.
Philip Perak holte ein kleines Kuvert aus der Innentasche des Jacketts. Er hatte alles vorbereitet und doch gehofft, dass es sich anders löse und er ihr diese dringende Bitte, Kontakt zu ihm aufzunehmen, nicht hinter die Scheibenwischer stecken müsse. Doch er konnte nicht mehr.
Er war ganz steif, als er ausstieg und zu dem Aston ging und das Kuvert zurückließ. Es war trocken und windstill. Er sollte die Größe haben, die glücklichen Aspekte zu würdigen.
Perak startete den Daimler und war erleichtert, den Parkplatz hinter sich zu lassen. Er lenkte das Auto vorsichtig in Richtung Innenstadt und kam an der nächsten Ampel zu stehen.
Er blickte zu der Limousine, die neben ihm hielt. Ein Mann und eine Frau saßen darin. Überall kamen die Menschen paarweise vor. Nur er war allein.
Philip Perak wollte sich schon abwenden, doch sein Blick blieb an der jungen Frau hängen. Er kannte sie.
Erst, als ihn der Wagen schon hinter sich gelassen hatte, fiel ihm ein, sie im eigenen Treppenhaus gesehen zu haben. Die junge Frau mit den kurzen blonden Locken, die in der Rover Limousine saß, war die Freundin seiner Nachbarin.
Jef hatte den Karton von Stollwerk hervorgeholt, exotische Vögel auf schwarzem Grund. Knuspergold. Eines der Stücke, die er durch das Leben trug, obwohl der Karton schon leicht eingedrückt war. Er erinnerte sich gar nicht, ihn geschenkt bekommen zu haben, und doch glaubte er sicher zu sein, dass Knuspergold mit seiner Mutter zu tun hatte.
Der Karton ließ Vera erst einmal schweigen über den Toten vom Kaispeicher, obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, dass Jef nichts von ihm wusste. Sie war zu gerührt von den Fotografien, die sie da sah. Der kleine Junge, der Jef mal gewesen war. Die Mutter. Der Vater.
Das Haus am Niederrhein. Vom Garten aus fotografiert.
An den Fenstern hingen Geranien. Der Kleine vorne im Bild. Vergnügt. Ein vergnügter Junge von vielleicht vier Jahren.
Vera hatte geglaubt, dass Jef ohne Kindheit gewesen sei. Ohne Glück. Doch es war anders gewesen.
»Die ersten Jahre«, sagte Jef, »die waren gut.«
Vom Kind, das ertrunken war, gab es kein Foto im Karton. Auch nicht von Margo. Nur ein einziges von der ersten Stiefmutter, die in die Kamera lächelte, während sie eine Hand auf die Schulter eines Jungen legte, der zornig aussah und sich ihr zu entziehen versuchte.
»Da war ich dreizehn«, sagte Jef.
Keiner von den beiden auf dem Foto schien es leicht gehabt zu haben mit dem anderen, und doch hatte Jef dieses Bild aufbewahrt. Das einzige aus der Zeit nach Marie Diems Tod.
»Ich freue mich auf deine Kinderfotos«, sagte Jef.
Vera dachte an Nelly, die auf all den Bildern aussah, als gingen sie der alte Mann und das Kind, mit denen Nelly da fotografiert worden war, nichts an.
Nelly, verheiratet mit Edouard, dem Mann ohne Nachnamen.
»Meine Mutter hat sich vermählt«, sagte sie, »ich habe eine Anzeige bekommen.«
»Lässt es dich so kühl, wie du klingst?«
»Völlig«, sagte Vera und war sich nicht mehr sicher. Irgendwie ärgerte es sie doch, dass Nelly die eigene Tochter aus ihrem Leben heraushielt.
»Ganz anderes brennt mir auf dem Herzen«, sagte Vera, »der Tod eines Mannes, der Holländer Michel genannt wurde.«
Jef atmete tief durch. Er hatte gehofft, dass diese Nachricht an Vera vorbeigegangen sei.
»Ich wollte dich nicht
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