Verdacht auf Mord
einmal weiß gewesen waren.
Gustav Stjärne besaß gekräuseltes aschblondes Haar, dem ein frischer Haarschnitt gut getan hätte. Seine Augen waren hellblau und seine ausgeprägten Brauen blond, vermutlich sonnengebleicht. Sein kleiner Mund wies eine schmale Oberlippe und eine kräftigere Unterlippe auf. Er hielt ihn geschlossen, was einen mürrischen Eindruck erweckte. Die Nase war kurz und vielleicht etwas platt. Seine Züge waren jedoch recht symmetrisch, was ihn im Gesamten gut aussehen ließ, ohne dass er deswegen eine charakteristische oder charismatische Ausstrahlung besessen hätte. Er strahlte überhaupt nichts aus. Höchstens eine dunkle Unruhe.
Dieser Mann verschwindet leicht einmal in der Menge, dachte Jensen. Und ist leicht zu verwechseln. Gillis Jensen hatte die ganze Zeit die Aussage des Nachbarn von Emmy Höglund im Kopf. Von dem Mann mit dem Liegestuhl. Er hatte sich wirklich Mühe gegeben, den Mann zu beschreiben, der kurz nach Mitternacht aus der Dunkelheit nach Emmy gerufen hatte. Mehr, als dass nichts an ihm ungewöhnlich gewesen sei, hatte er aber nicht zu sagen gewusst.
Sie saßen für sich in einem fensterlosen Raum auf der Entbindungsstation. Die Pflegehelferin hatte sie zu dem Zimmer geführt. »Gesprächsraum« stand auf einem Schild an der Tür. Er wirkte so gut schallisoliert wie ein Bunker und war frisch gestrichen. Die ganze Entbindungsstation war gerade umfassend renoviert worden, das hatte sogar im Sydsvenska Dagbladet gestanden. Die Korridore waren hell und breit, und die Zimmer waren ganz offensichtlich bestens ausgestattet.
Stjäme hatte verbissen gewirkt, als die Ärztin ihn geholt und er den Kriminalinspektor im Korridor der Entbindungsstation erblickt hatte. Natürlich konnte er nicht wissen, wer Jensen war. Jensen trug immer Zivil, aber vielleicht hatte Stjärne etwas geahnt. In Krankenhäusern sprach sich alles rasch herum.
Natürlich war er ihm unverzüglich gefolgt, alles andere hätte zweifellos Aufsehen erregt.
Obwohl er das ja bereits getan hatte, als er so unerreichbar gewesen war und sich auch nicht gemeldet hatte.
»Ja, Sie wissen ja bereits, dass ich hinter Ihnen her bin«, meinte Jensen.
»Ich hatte keine Zeit …«
Jensen vertiefte dieses Thema gar nicht erst.
»Sie kennen Emmy Höglund«, stellte er stattdessen fest.
»Nicht sonderlich gut«, wehrte sich Stjärne.
Jensen nickte, und seine hängenden Wangen bebten leicht.
»Können Sie mir von ihr erzählen?«
Stjärne sah ihn übernächtigt an.
»Oder fällt es Ihnen schwer?«, fuhr Jensen mit einer honigmilden Stimme fort.
»Da gibt es eigentlich nichts zu erzählen«, meinte Stjärne.
Gillis Jensen schwieg. Er hielt den Weltrekord im Schweigen.
»Wir haben uns gelegentlich gesehen«, erwiderte Stjärne schließlich mit leiser, mürrischer Stimme. »Sie ist eigentlich die Freundin eines Bekannten.«
»Aha?«
»Er heißt Karl.«
»Und wie weiter?«
Schweigen.
»Heißt er Karl Wallin?«
Stjärnes Wangen röteten sich, und sein Blick bohrte sich in eine pastellfarbene Gardine, die die gegenüberliegende Wand auflockern sollte. Zwischen ihnen stand ein Tisch aus hellem Holz.
Schließlich nickte er.
»Können Sie mir sagen, wann sie Emmy Höglund zuletzt getroffen haben?«
»Ich erinnere mich nicht richtig. Vielleicht vor etwa einer Woche.«
»Sie waren also am Montag nicht auf ein Bier im Carlssons Trädgård dabei?«
»Nein. Wieso?«
»Einige von Ihren Bekannten waren dort.«
»Aber ich nicht.«
Jensen dachte, dass ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als weiterzubohren. Stjärne würde kein Wort freiwillig sagen.
»Sie waren am Montagabend, also vor einer guten Woche, nicht mit Emmy, Karl und den anderen im Carlssons Trädgård?«
»Nein.«
»Wo waren Sie dann?«
»Ich war hier.«
»Hier?«
»Ja. Ich hatte in der Nacht von Montag auf Dienstag Bereitschaft.«
Hätte er das nicht gleich sagen können, dachte Jensen. Wirklich ein supernerviger Typ, jedoch mit einwandfreiem Alibi.
»Und wie war’s am Dienstagabend, was haben Sie da gemacht?«
»Jedenfalls nicht Emmy getroffen.«
»Können Sie das beweisen?«
Da schien auf einmal der Sauerstoff aufgebraucht zu sein. Schritte und Stimmen waren draußen zu hören. Der Piepser in Stjärnes Kitteltasche meldete sich.
Da hast du aber Glück gehabt, dachte Jensen.
Nina Bodén hatte sich ein paar Tage freinehmen müssen, als es besonders schlimm gewesen war. Sie hielt sich selbst für eine starke Frau mit gewissen Schwächen
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