Verdacht auf Mord
besetzt. Rauf und runter, und sie musste regelrecht einen Satz machen, um noch durch die Türen zu gelangen, ehe sie sich wieder in Bewegung setzten. Manchmal auf dem Weg nach unten nahm sie auch die Treppe. Zehn Etagen, für eine kerngesunde Frau kein Problem. Einige Male war sie die Treppen auch hochgegangen. Sie wollte die Bewegung ihres Körpers, die Arbeit ihres Herzens und die Kraft in ihren Beinen spüren, die die Unruhe vertrieben, wenn auch nur für einen Augenblick. Sie hatte sogar das Andachtszimmer hinter dem Empfang in der Eingangshalle entdeckt. Die Tür war immer nur angelehnt, aber sie war noch nie eingetreten. Sie wollte mit dem Besuch warten, bis Cecilia gänzlich erwacht war. Dann wollte sie dort eine Kerze anzünden. Aber die Bibliothek hatte sie besucht. Sie hatte dort in den Zeitungen geblättert. Sich auf längere Texte zu konzentrieren fiel ihr schwer. Gerne hatte sie Gedichte gelesen.
Vergangene Woche waren sie sich zufällig begegnet, Christina Löfgren und sie. Sie waren sich in der Eingangshalle fast in die Arme gelaufen, und keine von ihnen hatte die Möglichkeit gehabt, sich abzuwenden oder so zu tun, als sähe man die andere nicht, obwohl das vielleicht naheliegend gewesen wäre. Veronika verletzlich und auf schwankendem Bodén, Christina von der Arbeit gestresst.
Sie hatten sich beide seit dem Studium nicht sehr verändert. Damals hatten sie sich oft gesehen, sich sehr gemocht und Spaß zusammen gehabt. Vor ungefähr einem Jahr waren sie sich zuletzt auf der Jahresversammlung des Ärzteverbands in Göteborg begegnet. Also war ihr Kontakt bereits neu etabliert. Sie blieben vor den Drehtüren stehen und wechselten ein paar Worte. Veronika hatte ihr eigentlich nicht erzählen wollen, warum sie sich in Lund aufhielt, das war eine zu große Sache, aber Christina Löfgren, die im Übrigen in der Frauenklinik arbeitete, entlockte es ihr recht schnell.
»Was ist los?«
Eine kurze Antwort genügte, den Rest erriet Christina und zog sofort einen Kalender aus der Brusttasche ihres weißen Kittels.
Es gibt Leute, auf die immer Verlass ist, dachte Veronika. Denen Freundschaften wichtig sind. Sie war gerührt und dankbar.
Veronika war bisher noch nicht in der Kantine gewesen. Offenbar ging auch Christina nicht besonders oft dorthin. Obwohl Veronika eigentlich keinen rechten Hunger gehabt hatte, seit sie nach Lund gekommen war, stellten die Essenspausen eine wichtige Unterbrechung dar, auf die sie sich meist freute und die sie in ein kleines Ritual verwandelt hatte. Meist hatte sie die Cafeteria in der Eingangshalle aufgesucht oder das Restaurant, das recht versteckt auf der gleichen Etage an einem etwas abseitigen Korridor lag und aus ein paar ungemütlich verteilten Tischen bestand. Dort ging es immer sehr schnell, keine kulinarischen Höhepunkte, aber immerhin war es eine Abwechslung. Sie war gelegentlich auch zu dem rosa Schnellimbiss gegangen, der einige Schritte vom Block entfernt lag, hatte sich an einen der weißen Plastiktische gesetzt und eines der thailändischen Gerichte gegessen. Jemand hatte ihr auch erzählt, das Essen im Patientenhotel sei gut, aber dort war sie noch nicht gewesen, warum nicht, wusste sie auch nicht so recht.
Erst hatte sie sich ein Zimmer im Patientenhotel nehmen wollen, aber dort war alles belegt gewesen. Nach ein paar Nächten in dem gemütlichen Hotel hatte sie über die Klinik ein Angehörigenzimmer in einem roten Backsteinhaus am Sofiavägen bekommen, in der Nähe des Krankenhauses, auf der anderen Seite des Friedhofs.
Die Kantine war hell und einladend. Sie wartete mit ihrer Bestellung. Sie setzte sich an einen Tisch neben der Tür und schlug das Sydsvenska Dagbladet auf. Rasch blätterte sie an den Kriegen und Krisenregionen vorbei. Vielleicht konnte sie ja ins Kino gehen? Die Abende zogen sich immer in die Länge. Meist ging sie in der Stadt spazieren, was recht erholsam war. Natürlich sehnte sie sich auch nach Klara und Claes. Aber für sie würde sie auch wieder Zeit finden. Vielleicht gab es ja einen Film, dem sie etwas abgewinnen konnte. Sie blätterte rasch zum Teil C der Zeitung weiter, Lund und Sport.
Mann tot im » Block « aufgefunden – die Überschrift war klein, weckte aber ihre Neugier. Tote in einem Krankenhaus waren eigentlich nichts Ungewöhnliches, aber dieser Mann war in einem Putzmittelraum aufgefunden worden, und das war zweifellos origineller. Ihre Fantasie nahm freien Lauf. Er hatte höchstens eine Woche lang dort gelegen. Die
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