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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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fungiert als Zeitmaschine: Das Innere scheint sich seit neunzehnhundertsechzig, möglicherweise auch noch länger, kaum verändert zu haben. Dieser Eindruck wird von der Reihe der Kunstlederstühle an der Wand, der Holzvertäfelung und den abgetretenen Teppichen auf dem Boden noch verstärkt. Hier riecht es sogar nach früher. Einige schief gewachsene Zimmerpflanzen tragen zusätzlich zu dem Gefühl bei, eine Privatwohnung und keine Behörde zu betreten.
    Ein Schalter oder eine Anmeldung ist nirgends zu sehen. Links vom Eingang steht eine Tür offen. Sie führt in ein moderneres, hell erleuchtetes Büro, in dem eine Beamtin in Uniform arbeitet.
    Sobald sie mich entdeckt, schiebt sie ihren Stuhl zurück, steht auf und kommt auf mich zu.
    Ihr Händedruck ist fest. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich möchte einen Hauseinbruch anzeigen.«
    Sie zeigt auf einen der Stühle. »Wenn Sie hier kurz warten würden? Ich hole einen Kollegen.«
    Ich nehme Platz und fange an, an meinen Händen zu pulen. Ich habe Holzsplitter in den Fingerkuppen von den Brettern und Paneelen, mit denen ich die Hintertür provisorisch repariert habe. Das von Staub und Spinnweben bedeckte Holz habe ich in der Scheune gefunden, im Hangar stand eine Werkzeugkiste mit einem Hammer und Nägeln, so lang wie mein kleiner Finger. Nachdem ich die Tür mit Brettern vernagelt hatte, fegte ich die Glasscherben zusammen. Die Küche war übersät damit, und Bruchstücke der Scheibe waren bis ins Wohnzimmer geflogen. Einen Stein oder einen anderen schweren Gegenstand habe ich nirgendwo gefunden.
    Erst nachdem ich alles saubergemacht hatte, wurde mir klar, dass ich besser damit gewartet hätte. Vor lauter Anspannung habe ich alle Beweise vernichtet.
    Weiter hinten im Flur geht eine Tür auf, aus der ein erschöpft wirkender Polizist tritt. Ich schätze ihn auf Ende dreißig, Anfang vierzig. Er hat kurz geschnittenes, braunes Haar, das an den Schläfen bereits ergraut, und trägt die Uniform der Gendarmerie Nationale : hellblaues Oberhemd, dunkelblaue Hose.
    »Madame? Mein Name ist Chevalier. Bitte folgen Sie mir.«
    In dem Zimmer, in das er mich führt, stehen zwei Stahlschreibtische. Die gelblich gestrichenen Wände sind nackt.
    Chevalier setzt sich mir gegenüber. Er ist größer als die meisten Franzosen, denen ich hier in der Gegend begegnet bin, und dazu sehr kräftig. Aber nicht dick, eher stark und muskulös. Der Bürostuhl quietscht unter seinem Gewicht.
    Er nickt mir zu. »Was ist Ihr Anliegen?«
    »Ich möchte einen Einbruch anzeigen.«
    » Bon .« Er zieht ein Formular aus einer Ablage seines Schreibtischs, kramt in aller Seelenruhe einen Kugelschreiber aus einer Schublade und dreht die Mine heraus. »Name?«
    »Eva Lambregts.« Mein Familienname klingt in seinen Ohren so fremd, dass ich ihn buchstabieren muss.
    »Alter?«
    »Siebenundzwanzig.«
    »Geburtsdatum?«
    »29. Mai 1980.«
    »Adresse?«
    Auch die buchstabiere ich ihm.
    Chevalier füllt sein Formular mit einer schwungvollen, fast weiblichen Schrift aus, die so gar nicht zu seinem markigen Aussehen zu passen scheint. »Wo halten Sie sich gegenwärtig auf?«
    »Im Haus meiner Freundin, Dianne van den Berg, in Le Paradis.«
    Er zieht eine Augenbraue hoch und sieht mich einen Moment lang eindringlich an. Jetzt sehe ist, dass er auffällig hellbraune Augen hat. »Ah, tatsächlich?«
    »Kennen Sie sie?«, frage ich.
    Der Kuli verschwindet in seiner Brusttasche. »Auf dem Land kennt jeder jeden. Hier ist es nicht so wie in der Stadt.« Verächtlich verzieht er das Gesicht. »Aber Ihre Freundin kenne ich nicht persönlich, nur vom Hörensagen. Machen Sie hier Urlaub?«
    Ich nicke.
    »Geht es bei der Anzeige um das Haus von Mademoiselle van den Berg? Wurde in ihr Haus eingebrochen?«
    »Ja.«
    »Was genau ist passiert?«
    »Ich kam heute Mittag aus der Stadt zurück und habe gesehen, dass die Scheibe ihrer Hintertür kaputt war. Eingeschlagen wahrscheinlich. Die Scherben lagen in der ganzen Küche verstreut.«
    Er setzt sich auf. »Wurde etwas gestohlen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Sie wissen es nicht?«
    »Nein. Ich bin erst seit ein paar Tagen hier, und es ist mein erster Besuch. Deswegen kann ich nicht genau sagen, ob …«
    »Trotzdem gehen Sie von einem Einbruch aus?«, unterbricht er mich.
    »Ja, natürlich.«
    Er wirft einen Blick auf sein Formular. Im Kunstlicht wirkt seine Haut fleckig. »Warum erstattet Ihre Freundin nicht selbst Anzeige?«
    »Sie ist nicht da.«
    »Wann erwarten Sie sie

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