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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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Gedächtnisses.
    »Wann, Eva?«
    »Vor einem … Vor einem halben Jahr.«
    »Einem halben Jahr?« Er stößt mich gegen die Schulter. »Du lügst wie gedruckt!«
    »Nein, ich …«
    »Was machst du in ihrem Haus? Was machst du hier in Frankreich?«
    »Ich bin bei Dianne zu Besuch.«
    »Zu Besuch bei jemandem, der nicht zu Hause ist?«, höhnt er. »Du hast sie seit einem halben Jahr nicht gesehen und machst mal eben einen Ausflug von weit über tausend Kilometern, um auf eine Tasse Tee bei ihr vorbeizuschauen? Bien sûr  – na klar!«
    Auch in meinen Ohren klingt meine Aussage inzwischen dünn und verlogen. Unsicher, meine Stimme nur mehr ein Flüstern, füge ich hinzu: »Ich dachte, sie würde bald nach Hause kommen. Ich wollte sie überraschen.«
    »Und das sollen wir glauben?«
    »Ich weiß nicht, wo Dianne ist. Wirklich nicht. Bitte, lasst mich frei.« Ich weine, und mein Herz fühlt sich an wie auf zehnfache Größe angeschwollen. Es scheint meinen Brustkorb vollständig auszufüllen und hämmert unregelmäßig gegen meine Rippen.
    »Ich kann nichts mehr für dich tun.« Mit einer Wegwerfgebärde zu den beiden Männern an der Wand dreht sich der Franzose um, entfernt sich den Flur hinunter und schließt die Tür hinter sich.
    Die Männer in der Ecke beraten sich flüsternd.
    Der Deutsche löst sich aus der Gruppe und marschiert auf mich zu. Dicht vor mir bleibt er stehen und fasst mich an der Kehle. Mit dem Daumen reibt er über meinen Kehlkopf.
    »Du solltest besser anfangen zu reden«, sagt er bedrohlich leise. »Das ist deine letzte Chance.« Er betont jedes Wort: »Wo … ist … sie …?«
    »Ich weiß es nicht.« Meine Stimme klingt heiser, meine Gesichtsmuskeln beginnen zu zucken. »Wirklich nicht.«
    Dieser Mann könnte mit Leichtigkeit meinen Kehlkopf eindrücken, mit einer kleinen Bewegung, einer beiläufigen Geste, die ihn kaum Kraft kosten würde, gleichsam als zerdrücke er eine Ameise – und er will, dass ich das weiß. Er will, dass ich weiß, dass er mich ermorden kann – und ermorden wird , wenn ich nichts sage. Und dass ihm das nicht das Geringste ausmacht.
    Er legt den Kopf schief. »Bist du bereit zu sterben, Eva?«
    Wild schüttele ich den Kopf, die Augen weit aufgerissen. »Nein!« Warme Flüssigkeit sickert durch den Stoff meiner Boxershorts und der Jeans.
    Er muss es bemerken, riechen auf jeden Fall, aber er reagiert nicht darauf.
    Langsam, sehr nachdrücklich, befühlt er die Rillen an meiner Kehle. Tastet sie ab. Macht sich bereit, spannt die Armmuskeln an. » Tut mir leid «, sagt er leise.
    » Arrêtez! «, ruft der Mann mit der Wildschweinmaske und kommt auf uns zu. »Das reicht jetzt.«
    »Ja, aber …«
    »Das reicht, habe ich gesagt.«
    Sofort werde ich rückwärts weggezogen. Mein Bewacher schleift mich in den Käfig und versetzt mir einen gemeinen Stoß, sodass ich mit den Knien hart auf dem Boden aufschlage. Mein Schrei geht im Rasseln der Kette unter.
    Innerhalb weniger Sekunden ist der Keller leer. Das Licht brennt noch, ich kann den Strom summen hören. Sonst nichts. Keine Stimmen, kein Verkehr draußen, keine Schritte. Nichts als Stille.
    Auf dem kalten Untergrund beiße ich die Zähne zusammen, damit sie nicht klappern. Aber ich kann mich nicht beherrschen. Die Tränen brennen hinter meinen Augenlidern.
    Ich glaube nicht mehr an ein gutes Ende.
    Der Mann mit der Wildschweinmaske – ich meine, ihn erkannt zu haben. Als er auf mich zukam, hatte ich ein regelrechtes Déjà-vu. Seine Art zu gehen, diese Kopfbewegung … Dieses Bild habe ich schon einmal gesehen. Ganz genau so.
    Seine Verkleidung kann seine Identität nicht verbergen.
    Ich weiß, wer er ist.

38
    Die Birne brennt noch immer, als ich von einem Geräusch aus dem Schlaf schrecke. Klappern, Scharren. Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist. Es könnte mitten in der Nacht sein oder helllichter Tag.
    Ängstlich nach streunenden Ratten Ausschau haltend, setze ich mich auf und suche den Boden ab. Nichts zu sehen, außer den Stricken, mit denen ich gefesselt war. Die Entführer haben vergessen, mir die Arme wieder hinter dem Rücken zusammenzubinden. Oder sie haben sich nicht darum geschert, weil sie wissen, dass ich sowieso nirgendwohin kann.
    Gleich nach ihrem Verschwinden habe ich begonnen, die Knoten der übrigen Fesseln zu lösen. Meine Beine hatte ich schnell befreit, aber das Schloss des Käfigs kann ich unter keinen Umständen öffnen. Die Gitterstäbe sind mit rostigen Schrauben im Boden und

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