Verfallen
Erklärung dafür geben. Und eine Lösung. Sie ist meine beste Freundin, meine Schwester, ich werde sie unterstützen, wo immer ich kann.
Nach zehn, zwölf Schritten halte ich erneut inne und blicke mich um. Ich kann das Haus nicht mehr erkennen, nur ein gespenstisches Leuchten deutet an, wo es liegt.
Peng!
Ein Gewehrschuss. Der Knall hallt von der Felswand wider.
Ich erstarre. Der Schuss klang gedämpft. Ich bin mir so gut wie sicher, dass er aus dem Haus kam.
Dianne!
Ich lege die Hand auf die Brust. Lausche angestrengt. Kostbare Zeit verstreicht, während ich dem Rascheln dürrer Blätter und dem Knarren der Zweige im Wind zuhöre. Soll ich umkehren? Kann ich Dianne helfen?
Unsicher bleibe ich stehen.
Weitergehen?
Warten?
Zurückkehren?
Mein Entschluss wird mir nicht von der Vernunft diktiert. Es ist, als würde ich wie magisch von dem Haus angezogen. Ich kehre um und steige wieder bergauf. Meine Brust hebt und senkt sich in schnellem Rhythmus, meine Augen sind weit aufgerissen. In Sichtweite des Hauses hocke ich mich ins Gebüsch und suche die Fenster ab. Im ersten Stock brennt immer noch Licht, die Gardinen sind zugezogen. Es scheint sich nichts verändert zu haben.
Als ich auf die nahenden Schritte aufmerksam werde, ist es schon zu spät. Jemand kommt den Weg heraufgerannt. Schwere, hastige Schritte, gefährlich nah.
Instinktiv hechte ich von dem schmalen Pfad hinunter und schmiege mich an die Felswand. Den Kopf in den Nacken gelegt, warte ich ab. Halte die Luft an.
Plötzlich packt mich jemand an den Armen. Ich fange an zu schreien.
»Sei still, um Gottes willen!« Erwin legt mir die Hand auf den Mund, nimmt mich in den Arm und drückt mich so fest an seine Lederjacke, dass ich fast ersticke. Eine kalte Nase, warmer Atem. Finger, die mein Gesicht abtasten, ungeschickt, aber liebevoll. »Bist du verletzt? Wie geht es dir?«
»G-gut.«
Er erdrückt mich fast. »Unfassbar!«
Peng!
Wir erstarren gleichzeitig. Blicken zum Haus hinüber, reglos und ängstlich, wie Kaninchen im Scheinwerferlicht.
Dann kommt Erwin zur Besinnung, fasst mich an der Hand und zieht leicht daran. »Komm. Weg hier. Los, zum Auto.«
»Aber Dianne …«
Erwins Griff wird fester; er schleift mich fast zurück auf den Pfad. »Du kannst Dianne nicht helfen, Eva.«
»Sie hat mich gerettet.«
»Komm, nichts wie weg hier.«
Die Durchgangspforte steht offen. Erwin hat mich fest im Griff, und ich muss mich anstrengen, um mit ihm Schritt zu halten. Nicht weit von der Pforte glänzt mein Auto im Mondlicht. Es steht in einer Einbuchtung neben einem schmalen asphaltierten Waldweg.
Erwin öffnet die Beifahrertür und drängt mich geradezu in den Wagen. Nach dem Weg durch die Finsternis wirkt die Innenbeleuchtung so grell, dass meine Netzhaut zu explodieren scheint.
Sofort springe ich wieder hinaus und schlage die Tür zu. Die Innenbeleuchtung brennt noch eine Sekunde, dann stehen wir im Dunkeln, rechts und links von meinem Citroën.
»Was machst du denn da? Steig ein!«, zischt Erwin.
»Ich fahre nicht ohne Dianne los.«
»Du kannst auch im Auto warten.«
Warten? Schweigend starre ich ihn an. Ich glaube ihm nicht, er will gar nicht warten. Ich bin nicht die Einzige, der vor lauter Angst die Knie zittern. Sobald ich wieder im Auto sitze, gibt es für Erwin keinen Grund mehr, noch länger zu warten. Dann wird er neben mir auf den Fahrersitz springen, den Motor starten und sehen, dass er wegkommt.
»Ich warte hier«, beharre ich leise, stütze mich mit den Ellenbogen auf das Dach meines Autos und blicke mich um. »Wo sind wir?«
»Mitten in der gottverdammten Walachei.«
»Weit weg von Diannes Haus?«
»Fünfzehn, zwanzig Kilometer.«
Wir bleiben stehen, Erwin auf der Fahrerseite, ich gegenüber. Wir lauschen dem Wind in den Zweigen. Nur der Mond erhellt die Umgebung. Ansonsten ist es dunkel, nichts als drohende, über uns aufragende Bäume, pechschwarz und in den dunkelsten Grautönen. Ich eile hinüber zu Erwin.
Er nimmt mich in die Arme, sodass ich mit dem Rücken zu seiner Brust stehe, und hält mich schützend an sich gedrückt. Starr beobachten wir den Waldrand. Ich fühle seinen Herzschlag durch die Lederjacke hindurch an meinem Rücken.
»Wie bist du eigentlich hierhergekommen?«, frage ich.
»Als ich zurückkam und du spurlos verschwunden warst, bin ich schier verrückt geworden«, flüstert er mir ins Ohr. »Die Hintertür war völlig demoliert. Ich war schon fast auf dem Weg zur Polizei, da stand plötzlich
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