Verfallen
an den Wänden verankert. Sie lassen sich keinen Millimeter bewegen.
Wieder werde ich von Müdigkeit übermannt. Mein ganzer Körper ist zerschunden, und jedes meiner Glieder scheint hundert Kilo zu wiegen. Meine Zunge liegt wie ein ledriger Lappen in meinem ausgetrockneten Mund. Und ich stinke: Ein säuerlicher Geruch steigt mir aus meiner Kleidung in die Nase.
Allmählich schlafe ich wieder ein. Mit geschlossenen Augen lehne ich an der Wand.
Ein Knirschen.
Alarmiert öffne ich die Augen und blicke zur Tür. Das Geräusch kommt von dort.
Es scheint, als mache sich jemand am Schloss zu schaffen.
Nichts hält mich mehr auf dem Boden. Ich rappele mich hoch, trete ans Gitter und halte mich an den Stäben fest. Mit angehaltenem Atem starre ich das dunkle Rechteck am Ende des Kellerraumes an.
Erst glaube ich, mir nur einzubilden, dass die Klinke nach unten geht. Doch dann sehe ich, dass es keine Illusion ist. Der Metallgriff senkt sich immer weiter, ganz langsam und vorsichtig.
So geräuschlos wie möglich.
Dort ist jemand. Jemand, der das Schloss mit einem Dietrich geöffnet hat. Jemand, der die Tür lautlos öffnet, hineinkommt, jemand, der …
Ich umklammere die Gitterstäbe, öffne vor Anspannung den Mund und recke den schmerzenden Hals.
Der gelbe, ovale Strahl einer Taschenlampe huscht durch den Raum, von rechts nach links über den grauen Boden und die Wände, erhellt Spinnweben und Setzrisse in dem alten Beton.
Der Strahl scheint mir genau in die Augen und blendet mich.
»Eva?«, höre ich ein Flüstern. »Verdammte Scheiße! Also doch!«
Schnelle Schritte. Das Licht kommt näher, huscht hin und her über den Boden. Die schlanke Gestalt mit der Taschenlampe in der Hand ist schwarz gekleidet und trägt eine Sturmhaube, die nur ihre Augen freilässt.
Wir stehen einander gegenüber, zwischen uns das Gitter. Sie schaltet die Taschenlampe aus. Legt ihre Hände über meine. Kalte, schmale Hände.
Durch die Gitterstäbe sehen wir einander an. »Ich bin schuld. Ich habe dir das eingebrockt. Aber ich hol dich hier raus«, flüstert sie.
»Sie suchen dich«, ist alles, was ich hervorbringen kann. Meine Stimme klingt heiser und brüchig. »Ich war in deinem Haus und …«
»Scht, ich weiß. Still jetzt.« Mit einem ängstlichen Blick zur Decke flüstert sie: »Sie sind direkt über uns.«
Dianne schaltet die Taschenlampe ein und klemmt sie zwischen die Zähne. Dann greift sie nach dem Vorhängeschloss und stochert mit einem geriffelten Draht im Schlüsselloch herum. Tiefe Falten bilden sich über ihrer Nasenwurzel. Sie arbeitet äußerst konzentriert. Schließlich springt das Schloss mit einem metallischen Klicken auf.
» Voilà «, flüstert sie.
Obwohl wir beide die Kette festhalten und uns bemühen, kein Geräusch zu verursachen, können wir nicht verhindern, dass einige Kettenglieder über die Gitterstäbe rasseln. Wir erstarren gleichzeitig, aber Dianne erholt sich schnell wieder. Sie legt die Kette auf den Boden wie einen verletzten Hund.
»Kannst du laufen?«, flüstert sie.
Ich nicke.
»Bleib dicht hinter mir.«
Als sie sich umdreht, sehe ich, dass eine Jagdbüchse an einem Band auf ihrem Rücken hängt. Sie ist so groß, dass der Lauf fast ihren Kopf überragt.
Immer auf der Hut laufe ich hinter ihr her den Gang entlang. Diannes Taschenlampe erhellt eine Gewölbedecke aus dicken alten Backsteinen. Sie scheint jahrhundertealt zu sein und erinnert mich an ein Kloster. Der Gang mündet in einen quadratischen Raum mit einer ähnlichen Decke. Am Ende führt eine Steintreppe nach oben zu einer dicken Holztür mit auffällig schweren Beschlägen.
Ich halte mich so dicht wie möglich an Dianne und folge ihr die Treppe hinauf. Mein Herz pocht so heftig, dass ich es am ganzen Körper fühle, aber ich bin lange nicht mehr so ängstlich und verschreckt wie noch vor einer Stunde. Mein Durst ist weg, ich habe keine Schmerzen mehr. Dianne ist hier. Sie lebt!
Ich bin fest entschlossen, mich nicht noch einmal gefangen nehmen zu lassen. Das ist meine Chance, meine einzige Chance, hier herauszukommen, und ich werde sie nutzen.
Oben an der Treppe bleibt Dianne stehen und dreht sich zu mir um. »Alles okay?«
»Ja.«
»Hör gut zu«, flüstert sie. »Dieses Haus grenzt an eine Schlucht. Es gibt nur einen Weg, von hier wegzukommen. Auf mein Zeichen läufst du nach rechts um das Haus herum. Wenn du die Vorderseite erreichst, überquerst du so schnell du kannst den Hof in Richtung der Laterne auf der anderen
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