Verführer der Nacht
stinkenden Kumpel in der Erde zu begraben und dann noch den Nerv zu haben, mich anzubrüllen, wenn ich mich schützen will! Colby ballte die Fäuste. Es juckte sie in den Fingern, Rafael in sein schönes Gesicht zu schlagen. Mir ist speiübel vor Schmerzen. Hol mich hier raus! Zu ihrem Entsetzen sah sie, wie der abgebrochene Fingernagel des Vampirs zu vibrieren begann und dann an der Diamanthülle kratzte, die sie umgab. Ich mache keine Witze, Rafael. Beeil dich gefälligst! Jetzt ist dieser Fingernagel lebendig geworden und kratzt an der Wand. Sie wollte keine Angst zeigen, doch das Ding schien ein Eigenleben zu haben und fest entschlossen zu sein, auf sie loszugehen. Hol mich endlich hier raus!
Rafael zuckte zusammen, als er in ihrer Stimme einen unbändigen Zorn hörte, der ihren ganzen Körper vibrieren ließ. Gleichzeitig wurde sein Blut heiß und schwer.
Du bist unmöglich! Ich stecke hier mitten in einer Krise -einer Krise, die du verursacht hast, Rafael, und du denkst an Sex. Du bist pervers. Hol mich raus ! Colby fing an, auf der gegenüberliegenden Seite der Vampirkralle mit beiden Händen über die Oberfläche der Diamanthülle zu fahren, in der Hoffnung, eine Schwachstelle zu finden und hinauszukriechen. Als sie nichts Derartiges entdeckte, konzentrierte sie sich erneut darauf, ihre Angst und ihren Zorn in eine Waffe zu verwandeln und gegen das schaurige Ding zu richten. Die Kralle verfärbte sich langsam schwarz, schwelte und brannte schließlich lichterloh. Eine Hand auf ihr wild klopfendes Herz gepresst, sackte Colby an die Wand. Sie wollte bloß noch nach Hause.
Deine Welt ängstigt mich zu Tode, Rafael. Ich muss Paul und Ginny sehen. Komm her und hol mich raus. Sie war es müde, ständig zu streiten und Angst zu haben. Und ihre Eingeweide fühlten sich an, als hätte sie jemand mit einer Fackel in Brand gesteckt. Sie wollte und brauchte Trost. Sie hatte ihn verdient.
Rafael wünschte sich nichts mehr, als Colby in die Arme zu nehmen und immer dortzubehalten, aber er musste Kirja finden und ihn zerstören. Ihm blieben nur ein bis zwei knappe Stunden, das Versteck des Vampirs ausfindig zu machen, bevor er selbst ebenfalls von Lethargie übermannt wurde. Er verhärtete sich gegen Colbys seelische und körperliche Erschöpfung. Du bleibst unter der Erde, wie ich es befohlen habe, und schläfst
jetzt wieder, damit du gesund wirst. Es war ein Befehl, der mit äußerster Strenge erteilt wurde. Der starke Zwang, mit dem er unterlegt war, ließ Colby in einen tiefen Schlaf sinken, aber nicht, bevor sie Rafael ausgiebig verflucht hatte.
Trotz der mehr als ernsten Situation spürte er Wärme und Freude in seinem Inneren. So war es also, eine Gefährtin zu haben. Die stille, düstere Leere seines vorangegangenen Daseins war von einer Achterbahnfahrt der Gefühle abgelöst worden. Liebe, ja, aber auch Gereiztheit, Sorge, das hitzige Aufeinanderprallen von Temperamenten und ungezügeltes Verlangen. Jetzt wusste er wenigstens, dass er am Leben war.
Er kreiste langsam über der Stelle, wo Colby lag, und hielt nach Hinweisen auf Kirja Ausschau, wie er sich durch die Erde grub. Aber wie immer bei Meistervampiren gab es keinerlei Spuren. Rafael nahm seine menschliche Gestalt an, als er landete, und fuhr mit seinen Händen über den Boden, um Erschütterungen oder andere verräterische Anzeichen des Untoten zu ertasten.
Seine Finger ballten sich zu einer Faust. Warum musste Colby auch so aufbrausend sein? Er musste Kirja töten. Der Vampir wollte sich rächen, und Colby hatte Rafaels Chancen zerstört, den Untoten mühelos in seinem Versteck aufzuspüren.
In der Nähe ließ eine Eule ihren leisen Schrei erklingen. Der Laut schien ungewöhnlich für dieses nächtliche Raubtier. Es klang nicht danach, als hätte der Vogel seine Beute entweder verfehlt oder erwischt, sondern schien eher ein Lockruf zu sein. Wachsam hob Rafael den Kopf und schaute sich sorgfältig um. Selbst mit seiner scharfen Sehkraft brauchte er ein paar Minuten, ehe er die große Eule entdeckte, die sich hoch oben in den Ästen einer Fichte verbarg.
Rafael richtete sich langsam auf. Das war keine einheimische Eule. Der Vogel betrachtete ihn. Nicolas war es nicht – er war bei Ginny und Paul, um ihnen zu helfen, alles für den Umzug nach Brasilien vorzubereiten. Er würde sie in den Privatjet setzen und außer Landes schaffen und dabei seine hypnotische Stimme einsetzen, um die bürokratischen Hindernisse schnell aus dem Weg zu räumen.
»Du
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