Verfuehrung wie in 1001 Nacht
als er sie öffnete, war sie immer noch da.
„Amir, warum bleibst du stehen?“ Wie aus weiter Ferne erklang die besorgte Stimme seines Vaters.
Gemma dagegen, die über fünfzig Meter entfernt war, erschien Amir wie in unmittelbarer Nähe.
Über die Entfernung hinweg sah sie ihn an – genau wie beim ersten Mal.
Nur wirkte sie dieses Mal nicht überrascht.
Natürlich nicht, sie rechnete ja mit seiner Anwesenheit. Aber etwas anderes lag in ihrem Blick: Besorgnis, vielleicht sogar Ablehnung.
Offensichtlich freute sie sich nicht, ihn zu sehen. Nur – warum war sie dann hier? Hier in Zohayd, in seinem Palast! Und zu diesem Anlass?
Wie im Traum spürte er, wie sein Vater ihn am Unterarm berührte und mit sich durch die Menschenmenge zog.
Notgedrungen musste er dabei seinen Blick von Gemma lösen. Bei der ersten Gelegenheit versuchte er, sich einen Weg zu ihr zu bahnen. Aber sie sah zur Seite und verschwand hinter einer Menschengruppe.
Amir verstand die Welt nicht mehr. Wie gerne wäre er zu ihr gegangen, hätte sie hochgehoben und in seine Gemächer getragen, um sie auf der Stelle zu lieben.
Nicht Rücksicht auf die illustren Gäste, sondern Gemmas Ablehnung hielt ihn davon ab.
Wie es schien, war sie aus einem Grund hier, den er nicht kannte – aber nicht seinetwegen!
Rein mechanisch beantwortete er Fragen, schüttelte Hände und lächelte höflich den Frauen und ihren Familien zu. Dabei schaute er die ganze Zeit verzweifelt nach Gemma.
Da tauchte sein älterer Bruder Hassan neben ihm auf.
„Du stehst ja völlig neben dir, Bruderherz! Hast du was getrunken, um das alles hier besser zu überstehen?“
„Und wenn?“, fragte Amir ärgerlich. „Schön, wenn man so über den Dingen steht wie du, Herr Innenminister!“
Hassan lachte. „Ich hätte mich ja an deiner Stelle geopfert. Mir würde es nichts ausmachen. Ich habe sogar versichert, dass ich auf jeden Fall neutral bleibe. Egal mit wem man mich verheiraten würde: So tief würde ich mich gefühlsmäßig an keine Frau binden. Aber man hat mir nicht geglaubt …“
Amirs Ärger schwand. Hassan hatte sich mehr als ein Mal für eine arrangierte Heirat angeboten, aber ohne Erfolg …
Amir atmete tief aus. „Aber an deine Kinder würdest du dich binden …“
„Vielleicht“, antwortete Hassan schulterzuckend. „Wahrscheinlich. Ich weiß es nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, Ehemann und Vater zu sein.“
Kameradschaftlich legte er Amir den Arm um die Schulter und sah ihn mit seinen hellbraunen Augen, die er von Atef geerbt hatte, freundlich an. „Glaub mir, ich würde alles tun, um dir das hier zu ersparen.“
„Aih , ich weiß.“
Wieder blickte Amir zu Gemma und machte sogar unwillkürlich einen Schritt in ihre Richtung, wie um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„Und ich weiß“, sagte Hassan, „nach wem du die ganze Zeit Ausschau hältst. Wer hätte gedacht, dass aus unserer kleinen Johara eine so begehrenswerte Frau wird?“
Verständnislos sah Amir den Bruder an – zum ersten Mal an diesem Tag bewusst … den starken Ritter, dem ein ganzes Königreich seine Sicherheit anvertraut hatte. Den besten Innenminister, den das Land je hatte.
In seinem wie gemeißelten, von der Wüste gegerbten Gesicht lag ein völlig neuer Ausdruck, eine Mischung aus Nachsicht und Sympathie, wie ihn sonst nur die Frauen der Familie zeigten.
Was hat Hassan da gerade gesagt? Nein … das ist unmöglich!
Amir schüttelte den Kopf. „Wovon redest du?“
„Von der Erscheinung in Gold da drüben. Von unserer Johara. Oder sollte ich besser sagen, von deiner Johara, die erwachsen geworden ist?“ Hassan wies mit dem Kopf in ihre Richtung. „Seit du hier bist, hast du nur dorthin gesehen. Kein Wunder. Als ich vorhin mit Nazaryan und ihr gesprochen habe, blieb selbst mir fast die Luft weg.“
Amir sah den Bruder an, als hätte er kein Wort verstanden. „Nazaryan?“, fragte er.
Hassan schnippte mit dem Finger vor Amirs Gesicht. „Hallo, wach auf! Du machst mir ja Angst.“
Aber Amir schüttelte den Kopf. „Wen meinst du?“
„Ich rede von Berj Nazaryan, unserem Juwelier, ihrem Vater.“
Langsam, als würde er nur allmählich begreifen, wandte sich Amir in die Richtung, in die Hassan gewiesen hatte.
Dort stand nur eine einzige Frau in Gold: Gemma!
Wie hatte Hassan sie genannt …?
Johara.
Schlagartig begriff Amir: Gemma war Johara!
Im ersten Moment konnte er es nicht fassen. Die geheimnisvolle Gemma … in Wahrheit Johara! Berj Nazaryans
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