Vergebung
waren schon zwei volle Tage vergangen, und er hatte sich immer noch nicht aus seiner überbordenden Schatzkiste an Möglichkeiten bedient. Warum nicht? Will er seine Taktik ändern? Will er mich erpressen?
Da sie nicht wusste, was sie tun sollte, schlug sie das SMP -Strategie-Papier auf, das sie gerade entwarf. Eine Viertelstunde saß sie nur da und starrte auf den Bildschirm, ohne die Buchstaben zu sehen.
Sie hatte versucht, Greger anzurufen, ihn aber nicht erreicht. Sie wusste nicht einmal, ob sein Handy im Ausland überhaupt funktionierte. Natürlich hätte sie ihn irgendwie finden können, wenn sie sich angestrengt hätte, aber sie fühlte sich völlig teilnahmslos. Nein, sie fühlte sich verzweifelt und gelähmt.
Sie versuchte, Mikael anzurufen, um ihm den Diebstahl der Borgsjö-Mappe mitzuteilen. Er ging auch nicht ans Handy.
Um zehn Uhr hatte sie immer noch nichts Sinnvolles zustande gebracht und beschloss, wieder nach Hause zu fahren. Als sie gerade die Hand hob, um den Computer auszuschalten, pingte sie jemand bei ICQ an. Verblüfft blickte sie auf die Menüleiste. Sie wusste, was ICQ war, aber sie chattete nur ganz selten und hatte das Programm kein einziges Mal benutzt, seit sie bei der SMP arbeitete.
Zögernd klickte sie auf »Antworten«.
Hallo Erika.
Hallo. Wer ist da?
Privat. Sind Sie allein?
Ein Trick? Der Giftstift?
Ja. Wer sind Sie?
Wir haben uns in Kalle Blomkvists Wohnung getroffen, als er aus Sandhamn zurückkam.
Erika Berger starrte verwirrt auf den Monitor. Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Groschen fiel. Lisbeth Salander. Unmöglich.
Sind Sie noch da?
Ja.
Keine Namen. Wissen Sie, wer ich bin?
Woher soll ich wissen, dass das kein Bluff ist?
Ich weiß, woher Mikael die Narbe an seinem Hals hat.
Erika schluckte. Nur vier Personen auf der Welt wussten, wobei Mikael sich diese Narbe zugezogen hatte. Lisbeth Salander war eine von ihnen.
Okay. Aber wie ist es möglich, dass Sie mit mir chatten können?
Ich kann ziemlich gut mit Computern umgehen.
Lisbeth Salander ist ein Computergenie. Aber wie zum Teufel sie es anstellt, aus dem Sahlgrenska Kontakt mit mir aufzunehmen, wo sie doch seit Anfang April isoliert liegt, kapiere ich nicht.
Okay.
Kann ich Ihnen vertrauen?
Wie meinen Sie das?
Von diesem Gespräch darf nichts nach außen dringen.
Die Polizei soll nicht erfahren, dass sie Zugang zum Internet hat. Natürlich nicht. Deswegen chattet sie mit der Chefredakteurin einer der größten Zeitungen Schwedens.
Kein Problem. Was wollen Sie?
Bezahlen.
Was meinen Sie damit?
Millennium hat mir geholfen.
Wir haben unseren Job gemacht.
Das haben die anderen Zeitungen aber nicht.
Die Verbrechen, derer man sie anklagt, haben Sie nicht begangen.
Ein Stalker ist hinter Ihnen her.
Auf einmal bekam Erika Berger Herzklopfen. Sie zögerte eine Weile.
Was wissen Sie darüber?
Gestohlenes Video. Einbruch.
Ja. Können Sie mir helfen?
Erika Berger konnte kaum glauben, dass sie es war, die diese Frage hinschrieb. Es war vollkommen aberwitzig. Lisbeth Salander lag auf der Reha-Station des Sahlgrenska-Krankenhauses und hatte selbst Probleme bis über beide Ohren. Sie wäre die Letzte gewesen, die Erika um Hilfe gebeten hätte.
Weiß nicht. Lassen Sie es mich mal versuchen.
Wie?
Frage. Glauben Sie, dass das Schwein in der SMP sitzt?
Ich kann es nicht beweisen.
Wie kommen Sie dann darauf?
Erika überlegte eine ganze Weile, bevor sie antwortete.
Ich hab da so ein Gefühl. Es hat begonnen, als ich bei der SMP anfing. Andere Angestellte hier haben unangenehme Mails vom Giftstift bekommen, die so aussehen, als kämen sie von mir.
Giftstift?
So nenne ich das Schwein.
Okay. Warum sind Sie die Zielscheibe von Giftstifts Aufmerksamkeit geworden?
Keine Ahnung.
Deutet irgendwas darauf hin, dass etwas Persönliches dahinterstecken könnte?
Wie meinen Sie das?
Wie viele Angestellte hat die SMP ?
Knapp 230, wenn man den Verlag mitzählt.
Wie viele von denen kennen Sie persönlich?
Ich weiß nicht genau. Von den Journalisten und Mitarbeitern habe ich mehrere im Laufe der Jahre schon in anderen Zusammenhängen getroffen.
Irgendjemand, mit dem Sie schon mal Streit hatten?
Nein. Nichts Besonderes.
Irgendjemand, der sich vielleicht an Ihnen rächen will? Rächen? Wofür denn?
Rache ist eine starke Triebfeder.
Erika blickte auf den Bildschirm, während sie zu begreifen versuchte, worauf Lisbeth hinauswollte.
Sind Sie noch da?
Ja. Warum fragen Sie nach Rache?
Ich hab Rosins
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