Vergeltung
würde Vance zur Strecke bringen. Ihr persönlich stand seine Verhaftung zu, kein anderer hatte ein größeres Anrecht darauf. Wenn Ambrose ein Team zusammenstellte, dann konnte er Worcester noch nicht verlassen haben, und sie konnte ihm zuvorkommen. Sie war überzeugt, dass er nicht den ganzen Weg von Worcester nach Vinton Woods mit Blaulicht und Sirenen fahren würde. Weder er noch Patterson war so übermotiviert. Sie nahm das Blaulicht aus dem Handschuhfach, befestigte es hastig auf dem Dach ihres Wagens und raste davon, dass der Kies unter den Reifen davonspritzte.
Sie würde Vance in dieser Nacht fertigmachen, oder die Sache würde sie umbringen.
Tony fragte sich, wie Paula wohl mit der Sitte zurechtkam. Dieses Dezernat war immer eine Welt für sich. Die Kollegen der Sitte agierten in einer Grauzone zwischen respektablem Beamtentum und Anrüchigkeit. Wenn sie mit ihrer Arbeit weiterkommen wollten, mussten sie zwangsläufig in eine Beziehung zu den Leuten treten, die sie eigentlich kontrollieren sollten. Diese Beziehung ging oft Hand in Hand mit Bestechung. Wie die Geschichte zeigte, waren viele Polizisten der Sitte zu den bösen Jungs übergelaufen, und das war nicht immer vorhersehbar gewesen. Diese Leute hatten es täglich mit einer pervertierten Realität zu tun, deshalb waren die Verbrechen, die sie begingen, oft nicht gleich erkennbar.
Paula hatte ihre eigene Geschichte, was die Sitte betraf. Tony fragte sich, ob ein schlechtes Gewissen die Kollegen hilfsbereiter machen oder ob Paula bei ihnen nur unangenehme Erinnerungen wecken würde.
Sein Telefon läutete, das Display zeigte »Nummer unterdrückt« an. War es vielleicht Vance, der seine Schadenfreude kundtun wollte? Aber er hatte eigentlich nie zu denen gehört, die mit ihren Verbrechen angaben. Er tötete nicht aus dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Fast alles andere in seinem Leben war zwar darauf ausgerichtet, aber das Töten nicht.
Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Tony betätigte den Knopf und wartete. »Dr. Hill? Sind Sie das?« Es war eine Frauenstimme, die ihm vertraut war, durch das Handy jedoch zu blechern klang, um sofort erkennbar zu sein.
»Wer spricht da, bitte?«
»Stacey Chen, Dr. Hill.«
Gut, das leuchtete ein. Sie benutzte wahrscheinlich irgendeinen elektronischen Stimmverzerrer. Es würde zu ihrem generellen Misstrauen passen, das sie ihrer Umwelt entgegenbrachte. »Wie kann ich Ihnen helfen, Stacey? Das mit der Website aus Oklahoma haben Sie übrigens großartig gemacht.«
»Das war nur reine Datenverarbeitung«, entgegnete sie verächtlich. »Mit der richtigen Software hätte das jeder hinbekommen.«
»Wie kommen Sie mit dem Aufspüren von Kerry Fletcher voran? Haben Sie ihn schon gefunden?«
»Ehrlich gesagt, es ist eine sehr frustrierende Aufgabe, und ich mag es überhaupt nicht, mich von Computersystemen frustrieren zu lassen. Er wird weder im Wählerverzeichnis noch beim Finanzamt geführt. Er bezieht keine Sozialhilfe, und in seiner Altersklasse taucht er auch nicht in irgendwelchen medizinischen Unterlagen auf. Wer immer er auch sein mag, es ist ihm bis jetzt gelungen, unbemerkt zu bleiben.«
»Ich kann verstehen, dass das sehr frustrierend ist.«
»Ich werd’s schaffen. Doktor Hill, ich bin nicht sicher, ob ich Sie wirklich anrufen sollte, aber ich mache mir Sorgen und meine, Sie sind der einzige Mensch, der helfen kann.«
Tony gab ein kurzes Lachen von sich. »Sind Sie sich da sicher? Dieser Tage scheine ich nur dann die richtige Antwort zu sein, wenn jemand die falsche Frage stellt.«
»Ich glaube, ich habe herausgefunden, wo Vance sich versteckt, wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, Verbrechen zu begehen.«
»Das ist ja großartig. Und wo ist das?«
»Es nennt sich Vinton Woods. Es liegt zwischen Leeds und Bradfield. Das letzte Waldgebiet, bevor man dann in die Yorkshire Dales kommt.«
»Das heißt, es gehört zu Franklins Einzugsgebiet?«
»Ja, es ist im Gebiet der West Yorkshire Force.«
»Haben Sie Franklin angerufen?«
»Das ist das Problem. DS Ambrose war dabei, als ich das herausfand, also habe ich es ihm erzählt. Er ist überzeugt davon, dass West Mercia die Verhaftung zusteht, und wies mich an, weder Franklin noch einem der anderen Kollegen in West Yorkshire etwas davon zu erzählen.«
»Verständlich, dass Ihnen das unangenehm ist«, sagte Tony, wobei ihm noch immer unklar war, warum Stacey sich ausgerechnet an ihn gewandt hatte.
»Ja, das ist es. Also dachte ich,
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