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Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Titel: Vergiss den Sommer nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Matson
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ständig durch den Kopf ging, seit die Krankheit bei ihm festgestellt worden war, eine Frage, für die irgendwie nie der richtige Moment war. »Ich wollte bloß …«
    Mein Vater zog die Augenbrauen hoch, und ich sah, dass er schon wieder viel besser aussah als noch vor ein paar Minuten. Wenn ich es nicht wüsste und eben selbst erlebt hätte, käme mir es fast so vor, als ob es nie passiert wäre und mit ihm immer noch alles in bester Ordnung war. »Was gibt es denn, Kleines?«
    Wieder musste ich lächeln, obwohl mir eigentlich immer noch eher zum Heulen zumute war. Das war der Spitzname, den mein Vater nur für mich reserviert hatte, ganz allein für mich. Gelsey hieß bei ihm immer »Prinzessin« und Warren »Sohn«. Und ich war immer sein Kleines.
    Als ich ihn so ansah, war ich mir nicht sicher, ob ich ihm diese Frage stellen durfte, die Frage, über die ich am meisten nachgedacht hatte, seit er es uns gesagt hatte – damals, als er uns am Esstisch gegenübergesessen hatte. Denn es war eine Frage, die all dem widersprach, was ich immer von meinem Vater gedacht hatte. Er war derjenige, der nachschaute, ob auch keine Einbrecher da waren, wenn meine Mutter ein komisches Geräusch gehört hatte. Er war derjenige, nach dem wir schrien, wenn wir eine Spinne entdeckt hatten. Er war immer derjenige gewesen, der mich auf den Arm genommen und getragen hatte, wenn ich zu müde war zum Laufen, und er war derjenige, dem ich absolut vertraute, dass er die Drachen und Monster unter meinem Bett bezwingen konnte. Aber ich musste es wissen, und ich war mir nicht sicher, ob ich noch mal eine Gelegenheit bekommen würde, diese Frage loszuwerden. »Hast du eigentlich Angst?« Meine Stimme war leiser als ein Flüstern. Aber daran, wie er sein Gesicht ganz leicht verzog, erkannte ich, dass er mich gehört hatte.
    Er sagte nichts, sondern nickte nur. Er hob und senkte den Kopf ein einziges Mal.
    Ich nickte ebenfalls. »Ich auch«, sagte ich. Wieder lächelte er mich traurig an, und schweigend saßen wir nebeneinander.
    Der Pendelbus kam die Straße hinauf, ratterte an unserer Einfahrt vorbei und hielt vor dem Nachbarhaus mit dem »Sommer wie im Film«-Schild davor. Ein dunkelhaariges kleines Mädchen in blütenweißer Tenniskleidung stieg aus. Selbst aus der Ferne wirkte sie reichlich frustriert, wie sie aus dem Bus in ihre Einfahrt trottete, wo sie schnell von den Bäumen verdeckt wurde, die zwischen unseren Häusern wuchsen.
    »Das war alles?«, fragte er, als das Mädchen nicht mehr zu sehen und der Bus weitergefahren war.
    »Das war alles«, sagte ich. Da streckte er den Arm aus, strubbelte mir durchs Haar und ließ seine Hand einen Moment auf meinem Kopf liegen. Und obwohl wir definitiv keine besonders kuschelige Familie waren, lehnte ich mich ohne Nachzudenken an meinen Vater und er legte seine Arme um mich und zog mich zu sich heran. So blieben wir einen kurzen Moment sitzen, dann lösten wir uns fast im selben Augenblick voneinander, als ob wir das vorher so abgesprochen hätten. Ich stieg aus, öffnete die Hintertür, um meinen Beutel und die Kuchenschachtel mit den dämlichen Keksen herauszunehmen, und außerdem die Einkaufstüte von Hensons, die mein Vater mir bereitwillig überließ.
    Als wir die Treppe zu unserem Haus hinaufstiegen, blieb mein Vater stehen, lehnte sich ans Geländer und sah mich an – mit einem strahlenden Lächeln, das alle Müdigkeit aus seinem Gesicht fegte. »Metamorphose«, sagte er.
    Mit gerunzelter Stirn versuchte ich hinter den Sinn zu kommen. »Ein Wort für Veränderung mit zwölf Buchstaben«, ergänzte er. Selbstzufrieden und erwartungsfroh sah er mich an.
    »Kann sein«, sagte ich. Ich sah das vergessene Kreuzworträtsel auf dem Tisch und wäre am liebsten gleich hingerannt, weil ich wissen wollte, ob das tatsächlich das Wort war, nach dem ich gesucht hatte. »Wird sich ja zeigen.«

Kapitel 9
    »Gelsey!«, rief ich in Richtung Haus. »Wir müssen los!« Seit zehn Minuten stand ich mit dem Autoschlüssel in der Hand in der Einfahrt. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass wir längst unterwegs sein müssten. Auch ohne Joberfahrung ahnte ich, dass es sich gar nicht gut machte, wenn man am ersten Arbeitstag zu spät kam. Eigentlich war geplant gewesen, dass Gelsey zu ihrer ersten Tennisstunde mit dem Fahrrad fährt. Aber ihr Rad (eigentlich meins, für mich war es nur inzwischen zu klein) hatte einen Platten, woraufhin Gelsey eine Art Nervenzusammenbruch bekam, was mir den Auftrag bescherte, sie

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